DASwar’s: Handküsse im Wildpark
Unter Läufern gibt es die Angewohnheit, dass sie sich in irgendeiner Form grüßen, wenn sie sich begegnen. Schon von Weitem wird der entgegenkommende Läufer taxiert und überlegt, welche Grußformel angebracht ist: Lässiges Heben des Zeigefingers, flüchtiges Nicken – wahlweise freundlich oder ausdruckslos, anerkennender Daumen, telepathischer Blickkontakt.
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Unter Läufern gibt es die Angewohnheit, dass sie sich in irgendeiner Form grüßen, wenn sie sich begegnen. Schon von Weitem wird der entgegenkommende Läufer taxiert und überlegt, welche Grußformel angebracht ist: Lässiges Heben des Zeigefingers, flüchtiges Nicken – wahlweise freundlich oder ausdruckslos, anerkennender Daumen, telepathischer Blickkontakt. Eher selten sind ein „Hi“ oder „Hallo“. Und natürlich gibt es Nicht-Grüßer, die sich hoch konzentriert auf ihrem Weg zu Olympiagold durch nichts ablenken lassen.
Klar ist es auch vom Läufertyp abhängig, ob und wie gegrüßt wird. Es ist von entscheidender Bedeutung, ob ein Gelegenheitsläufer oder ein Laufprofi den Weg kreuzt, ob ein Waldjogger oder Asphaltjunkie, ob ein Tartanhengst oder ein Parkläufer. Das ist eine Wissenschaft mit vielen Facetten und Nuancen. Zudem ist das Grußverhalten regional verschieden ausgeprägt. Der Spiegel-Online-Kolumnist und Laufdussel Achim Achilles ist dem sogar einmal in einer nicht repräsentativen Studie nachgegangen. Ich selbst habe festgestellt, dass im Englischen Garten in München so gut wie gar kein Läufer einen Gruß erwidert, während in Leipzig der Zeigefinger quasi dauer-erregt ist.
In Potsdam entwickelt sich der läuferische Begegnungsakt ähnlich dynamisch wie der Einwohner-Mix. Man kann sich auf keine Erfahrungswerte mehr verlassen. War der Neue Garten lange eine grußlose Zone, wird einem jetzt sogar „Grüß Gott“ entgegengeflötet. Genügte im Wildpark lange Zeit ein vertrautes Handheben, gleicht meine Laufrunde heute einem emotionalem Wechselbad: Zwischen stoischer Ignoranz bis Handküsschen ist dort alles zu bekommen. Im Babelsberger Park ist am Morgen Grüßen tabu, während am Abend Leipziger Verhältnisse herrschen.
Durch die Innenstadt zu laufen ist grußtechnisch ein Fiasko. Es ist nicht zu erkennen, ob innerstädtische Läufer überhaupt nachdenken, mit welcher Grußformel sie sich begegnen sollen. Selbst eine bewusste Gruß-Verweigerung ist bei StadtLäufern nicht auszumachen. Daher habe ich es mit einer Anleihe beim innerstädtischen Autofahrer versucht. Dessen Grußverhalten ist prima in Potsdams alltäglicher Situation zu beobachten, wenn man wegen eines Hindernisses dem entgegenkommenden Fahrer die Passage ermöglicht und gespannt ist, mit welcher Geste sich der Fahrende beim Wartenden bedankt. Nach meiner Beobachtung lösen Autofahrer aus Elbe-Elster und Oberhavel mindestens einen Finger als Zeichen der Dankbarkeit vom Lenkrad. Nicht-Brandenburger scheinen indes überfordert. Bei Berlinern regt sich gar nichts, während sich das Gemüt der Potsdamer von genervt über gleichgültig zu abgestumpft entwickelt. Daher vermute ich, dass alle Innenstadt-Läufer ehemalige Autofahrer und auf der Suche nach ihrer Identität sind. Seid gegrüßt.
Peter Könnicke ist freier Journalist und arbeitet als Lauf- und Fitnesstrainer.
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