Von Juliane Wedemeyer: Härtefall
Erektionsprobleme: Jeder fünfte Potsdamer hat sie, eine Aktion soll aufklären
Stand:
Brandenburger Vorstadt - Ein Mann mit Lederweste spaziert über den Luisenplatz. Seine Haare sind schon etwas licht. Er lächelt. Denn eine junge Frau geht direkt auf ihn zu. Ihr Pferdeschwanz wippt fröhlich. Sie drückt ihm eine Broschüre in die Hand. „Helden der Liebe“ steht darauf. Der Mann lächelt immer noch – bis sie ihm erklärt, worüber die Broschüre ihn informieren soll. Jetzt verziehen sich seine Mundwinkel nach unten. Er gibt ihr die Broschüre zurück und hebt abwehrend die Hände. „Das kann ich nicht tragen“, sagt er und verschwindet eilig Richtung Brandenburger Tor.
Jeder fünfte Mann über Fünfzig leidet an Erektionsstörungen. Und mit jeder weiteren Dekade verdopple sich der Anteil, sagt Professor Horst Oesterwitz, Chefurologe am Ernst von Bergmann-Klinikum. In Potsdam sind demnach mindestens 5000 Männer betroffen. Oesterwitz findet darum gut, was die junge Frau auf dem Luisenplatz macht. Auch wenn sie nur Werbematerial für ein Mittel gegen Erektionsstörungen verteilt. Die Tabletten seien in Ordnung, sagt Oesterwitz. „Und so erfahren die Männer wenigstens, dass es etwas dagegen gibt.“
Das Pharmaunternehmen Lilly hat darum den 22. Mai zum bundesweiten Aktionstag erklärt. In 14 Städten hat es Info-Zelte aufgebaut. An den Wänden hängen Bilder von nackten Paaren – die meisten älter als fünfzig Jahre. „www.helden-der-liebe.de“ steht über dem Eingang. Helden der Liebe, so heißt die Initiative, die das Pharmaunternehmen gegründet hat, um über Erektionsprobleme aufzuklären und um Kunden für die eigenen Tabletten zu gewinnen.
Im Info-Zelt interviewt gerade ein Moderator einen Arzt und einen Betroffenen, der – ungelogen – Hartenstein heißt und aus Geilenkirchen stammt. Die Stuhlreihe davor ist leer, doch das scheint die drei nicht zu stören. Denn die Männer, die in unverdächtiger Entfernung am Luisenbrunnen sitzen, verstehen auch jedes Wort. Der Betroffene erzählt, wie ihm die Pillen geholfen haben. Und der Arzt sagt immer wieder: „Ich kann nur raten, gehen Sie zum Arzt.“ In Potsdam gibt es sieben Urologie-Praxen. Und die Ärzte dort würden jede Menge Patienten mit Erektionsstörungen behandeln, sagt Oesterwitz. Bei jüngeren Männern seien sie meist psychisch, bei dem Großteil seien sie ein Altersproblem. Irgendwann treffe es jeden. Die Durchblutung sei dann eben nicht mehr so gut. Diabetiker und Übergewichtige haben ein höheres Risiko, daran zu erkranken. Aber meistens helfen durchblutungsfördernde Tabletten. Aber dafür müssten sich die Männer erst einmal zu ihrer fehlenden Standhaftigkeit bekennen.
„Seitdem es Viagra und ähnliche Pillen gibt, ist das Thema durch das ganze Marketing weniger Tabu“, erklärt Oesterwitz. Aber es ist eben immer noch eins. Die Aktion auf dem Luisenplatz soll dieses Tabu brechen, sie soll eine Öffentlichkeit für die Betroffenen schaffen, heißt es auf der Homepage von Lilly. Der jungen Frau mit dem wippenden Pferdeschwanz gelingt das nicht so richtig. Die meisten Männer winken ab. Die Frauen dagegen nehmen die Broschüren mit – „für meinen Mann“, erklärt eine und eine andere mit weißem Haar nickt und sagt „Ja, ja, die Probleme treten auf.“ Erektionsstörungen sind Zerreißproben für Partnerschaften. Nicht nur den Mann plagen Selbstzweifel.
Plötzlich scharen sich rund 20 Menschen gleichzeitig um die Infotische: eine japanische Reisegruppe. Was das sei, haben sie ihre deutsche Stadtführerin gefragt. „Ein Ort, an dem Menschen ihren Arzt etwas fragen können“, hat diese geantwortet. Die ganze Wahrheit wollte sie den Touristen nicht zumuten.
Juliane Wedemeyer
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: