Etwas HELLA: Haste mal ein Stiefmütterchen
Es gibt Ereignisse, die passieren immer wieder, dafür überraschen einen andere total. Auf den Frühling zum Beispiel darf man getrost warten, er kommt gewiss, früher oder später.
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Es gibt Ereignisse, die passieren immer wieder, dafür überraschen einen andere total. Auf den Frühling zum Beispiel darf man getrost warten, er kommt gewiss, früher oder später. In meiner Straße weiß ich auch genau, wer die Vorgärten mit Frühlingsblühern verschönt und wo die ersten Ostereier an den Sträuchern hängen. In diesem Jahr war ich besonders stolz darauf, dass ich vor meiner Haustür die ersten Farbtupfer gesetzt habe und sonnte mich in meiner Vorreiterrolle. Jetzt bin ich eher froh, dass die anderen nachgezogen haben. Dadurch ist die Auswahl größer, auch für Selbstversorger in Geldnöten: Eines Nachts waren nämlich alle meine Blumen vor der Haustür verschwunden. Dass sie sich allein auf den Weg gemacht haben, glaube ich nicht, sie wurden gut behandelt. Einen Zettel, wo ich meine Primeln und Stiefmütterchen nun bewundern kann, hat auch niemand hinterlassen. Die ordentliche Art, wie die Blumen ausgegraben wurden, lässt jedoch auf Wiederverwendung schließen und ich würde gern mal nachschauen, ob es meinen Lieblingen gut geht.
Inzwischen versuche ich mich an den Blumen zu erfreuen, die gerade überall gepflanzt werden und zum Glück auch da stehen bleiben. Und stellen Sie sich vor, es gibt nicht nur Blumendiebe, sondern auch Spender, die öffentliche Baumscheiben und Rasenecken bepflanzen. Besonders angetan hat es mir das bunte Band der Sympathie, das gerade auf den Wiesen vor dem Neuen Friedhof aufgerollt wurde. Krokusse und Tulpen entfalten da ihre Pracht. Sie wurden mit einer eigens dafür konstruierten Maschine in den Rasen hineingestickt. Zwiebeln haben übrigens die Eigenschaft, sich von Jahr zu Jahr immer tiefer in den Boden einzugraben. Das beeinträchtigt zwar die Blühfreudigkeit, aber den Blumendieben drehen sie damit auch eine Nase. Das Blumenband wird inzwischen bestaunt, fotografiert, sogar die Hundesbesitzer pfeifen ihre Lieblinge zurück, wenn sie zu heftig am Blütenband schnuppern.
Wenn es nur auch anderweitig einen solchen Gemeinsinn gäbe! Ich wünschte, der Adler vom Torhaus auf der Freundschaftsinsel würde seinen Dieb in die Hand hacken und zur Insel zurückfliegen. Ich möchte wirklich wissen, welcher Teufel die Fassadenkletterer geritten hat. Sicher ist, dass erheblicher Schaden angerichtet wurde. Um ihn gutzumachen müssen wieder andere, die ihr Geld eigentlich nutzbringender einsetzen könnten, tief in die Tasche greifen.
Und auch ich muss mich in Schadensbegrenzung üben. Deshalb überlege ich, ob ich die Jahreszeit nutze, am Essen spare und faste, um neue Blumen zu kaufen oder ob ich mich lieber mit einem dickbelegten Brötchen vor ein Gartencenter setzen und gebefreudige Kunden frage: Haste mal ein Stiefmütterchen?
Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam.
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