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Landeshauptstadt: Heißes für Liebhaber

Zinngießmeister Gerd Schmidt erklärt traditionelles Handwerk im Krongut Bornstedt

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Zinngießmeister Gerd Schmidt erklärt traditionelles Handwerk im Krongut Bornstedt Grobe Hände spannen eine rote Silikonform zwischen zwei Holzklötzchen in die Schraubzwinge ein. Richten die Öffnung nach oben aus und ziehen die Schraubenspindel nach. Mit der rostfarbenen gusseisernen Kelle schöpft Gerd Schmidt eine silberweißgraue Flüssigkeit in die Form. Der Zinngießmeister aus Marktleuthen in Franken zeigt an diesem Sonnabend wie aus der knapp dreihundertfünfzig Grad Celsius heißen zähen Masse Glücksschweine, Engel, Schornsteinfeger und vierblättrige Kleeblätter entstehen. Aber auch der Eigenversuch ist in der kunsthandwerklichen Manufaktur im Krongut Bornstedt angesagt. Für zwei Euro können sich Jung und Alt im traditionsreichen Handwerk üben, so wie Hanna Wichert aus Falkensee, die sich einen kleinen Engel gießt. Zaghaft greift die Elfjährige zur Kelle und gießt die aus 95 Prozent Zinn bestehende Masse in die Form. Nun heißt es warten. Unterdessen beginnt Gerd Schmidt von den Anfängen des Zinnabbaus in deutschen Landen um 1200 n.Chr. zu erzählen. „Zunächst im Erzgebirge, später befanden sich die Hauptabbaugebiete in Franken und im Fichtelgebirge.“ Teller, Kannen und Krüge waren bruchsicher und bekamen „höchstens mal eine Beule“. Um den Gegenständen des täglichen Bedarfs einen neuen Glanz zu verleihen, wurde das Geschirr dem „Kandelgießer“ gegeben, der es polierte oder einschmolz, um neues zu fertigten. Anfang des 19. Jahrhunderts zog das „weiße Gold“ in so manche Haushalte, Porzellan verdrängte das Zinn. Erst in den um 1970 gab es dann wieder einen Boom. Mittlerweile ist die Zinnförderung in Deutschland eingestellt. Derzeit existieren, laut dem 39-Jährigen, noch 50 Handwerksbetriebe, in denen oft für „Liebhaber“ produziert werde. Der Rohstoff komme nun aus Malaysia, Bolivien, Indonesien und Russland. Die Industrie nutze Zinn beispielsweise für die Herstellung von Lotbändern oder Konservendosen aus Weißblech, „das übrigens in Deutschland um 1400 erfunden wurde“. Zwei Minuten sind vergangen. Schmidt, bereits in der dritten Generation in seinem 1929 gegründeten Unternehmen tätig, löst die Schraubenspindel, öffnet die Form, löst den zirka „150 Grad“ heißen Engel heraus und zwackt überstehende Kanten ab. Hanna nimmt die zehn Gramm schwere, noch matt wirkenden Figur. „Mit einem Tuch kannst du sie polieren“, rät Schmidt. Die entstandenen Reste kommen zurück in den Eisentopf, der auf einer Herdplatte heiß gehalten wird. An diesem Tag, so kurz vor Weihnachten und dem Jahreswechsel, entstanden viele „Glücksbringer“. So mancher fühlte sich ans „Bleigießen“ erinnert, bei dem mit einem Löffel geschmolzenes Blei in kaltes Wasser gegeben wird. Die gebildeten Figuren dienen als Orakel fürs kommende Jahr, beispielsweise stehen Sterne für Glück. Woher der Brauch kommt, bleibt ein Geheimnis. Zinngießmeister Schmidt vermutet, dass der Brauch möglicherweise durch die täglichen Arbeit seiner Zunft entstanden ist. – „Die abfallenden Späne regen die Fantasie an.“ U. S.

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