Von Richard Rabensaat: Helden der Vernunft
Die Philosophin Susan Neiman hat am Einstein Forum ihr neues Buch „Moralische Klarheit“ vorgestellt
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„Woraus können wir Hoffnung für die Zukunft schöpfen?“, möchte ein Diskussionsteilnehmer von der Leiterin des Einstein Forums in Potsdam, Susan Neiman wissen. Neiman hat gerade die zentralen Thesen aus ihrem Buch „moralische Klarheit“ vorgestellt. Handlungsanweisungen für ein besseres Leben hat sie darin nicht erteilt.
Vehement verteidigte Susan Neiman die Aufklärung als einen „Leitfaden für tragende Moralbegriffe“. Nicht nur Adorno und Horkheimer hätten zwar kritisiert, Denkmodelle der Aufklärung seien letztlich naiv und in realitätsfernem Fortschrittsglauben befangen. Aber „Philosophen können schon spinnen und Adorno und Horkheimer spinnen besonders schön“, meinte Neiman. Die Kritik an der Aufklärung greife oft zu kurz. Ganz reale gegenwärtige Entwicklungen würden durchaus Anlass zu Hoffnung bieten. „Wer hätte gedacht, dass ein Amerikaner mit afroamerikanischem Hintergrund Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte. Das Folterverbot ist allgemein akzeptiert und die Sklaverei ebenfalls abgeschafft“.
Das stimmt zwar nicht ganz, schließlich liegen die Vorkommnisse in Abu Ghraib erst knapp sechs Jahre zurück und nicht nur der Bundesnachrichtendienst informiert über weltweiten Menschenhandel. Aber das ist nicht Neimans Thema. Ihr geht es darum, sich Begriffe wie „gut“, „böse“, „Held“, „Ehre“ und „Moral“ nicht von rechten Gruppierungen abschneiden zu lassen. Und um eine Rehabilitation der Werte der Aufklärung. Diese versteht sie als eine Aufforderung zum Selbstdenken. Daraus ließe sich dann auch ein Leitfaden für „tragende Moralbegriffe“ entwickeln.
Mit dem Buch wollte Neiman keine bestsellertaugliche Ratgeberfiebel für das bessere Leben liefern. Vielmehr möchte sie dem reflektierenden Verstand zu seiner verdienten Wertschätzung verhelfen. Moralische Urteile seien aber weiterhin im Detail zu entscheiden, sich von Idealen leiten zu lassen, könne dabei nicht grundsätzlich schaden.
Die Abgrenzung eines von der Vernunft getragenen Idealismus zur falsch verstandenen Transzendierung von Idealen illustrierte Neiman drastisch mit einem projizierten Foto. Ein stolzer Vater trägt auf seinen Schultern ein kleines Kind, die Mutter steht lächelnd daneben. Um seine Hüften hat das Kind die Attrappe des Sprengstoffgürtels eines Selbstmordattentäters geschnallt. Selbstmordattentäter seien keine Nihilisten, sondern von verfehltem Idealismus geleitet, folgerte Neiman.
Obwohl sie nicht die Religion als Nebelmaschine gegen Geistesklarheit verdammt, steht ihr doch ein Denken, das seine Wurzeln im Vernunftsgedanken der Aufklärung findet, näher. Vernunft sei „die Weigerung das Gegebene als solches zu akzeptieren“. Es gelte nach einer Veränderung zu streben, die für alle positiv ist. Ehrfurcht sei durchaus angebracht, denn: „Wie immer ich die Schöpfung der Welt verstehe, eins ist gewiss: Ich war’s nicht“, bemerkte die Philosophin in aller Bescheidenheit. Ihrer Ansicht nach sei sich die philosophische Epoche der Aufklärung der Übel der Welt durchaus bewusst gewesen. Sie habe aber darauf eben auch eine Antwort gehabt. Diese bestehe in eigenverantwortlichem Handeln und Denken, um so zu Glück und Hoffnung zu gelangen. Abgeklärter Skeptizismus führe lediglich zur Passivität.
Bereits 2008 erschien das Buch in der englischen Muttersprache der Philosophin, erst jetzt erscheint es auf Deutsch. „Vielleicht hört man in Deutschland lieber etwas über das Böse“, kommentierte Neiman. In ihrem Buch beleuchtet sie im einzelnen, welche Ausprägung Glück, Vernunft, Ehrfurcht und Hoffnung als Werte in der philosophischen Diskussion gefunden haben. Die Professorin doziert dabei nicht in luftigen philosophischen Höhen, sondern vermag es bemerkenswert poetisch das Umfeld des jeweiligen Gedankens plastisch zu illustrieren: „Am Morgen bewegt sich das Licht der See wie ein Teppich und webt das immer gleiche endlose Muster auf dem hellen Sand des Meeresbodens“, leitet sie einen Exkurs über den Griechen Odysseus ein.
Dass heldische Vorbilder wie Odysseus nicht ausgedient haben, hat auch Julian Nida-Rümelin bemerkt, der die anschließende Diskussion leitete. „Wenn die Väter abwesend oder schwach sind, produziert Hollywood den Ersatz“, stellte der Philosoph und ehemalige Kulturstaatsminister fest. Neiman weist mit ihrem Buch nach, dass sich hinter Begriffen wie Ehre und Würde ein Horizont auftut, der weiter reicht als Testosteron getränkte Sandalenfilme aus der Traumfabrik.
Susan Neiman: „Moralische Klarheit“, 492 Seiten, Hamburger Edition, ISBN 978-3-86854-223-3.
Richard Rabensaat
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