DICHTER Dran: Herr Puntila remixed
In Potsdam, liest man jetzt oft, geht die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinander. Man stellt sich dann Putzfrauen mit Nylonanoraks in Neubaublocks vor und bepelzte Damen, hochhackig auf den schneegefegten Einfahrten ihrer Villen am Heiligen See.
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In Potsdam, liest man jetzt oft, geht die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinander. Man stellt sich dann Putzfrauen mit Nylonanoraks in Neubaublocks vor und bepelzte Damen, hochhackig auf den schneegefegten Einfahrten ihrer Villen am Heiligen See. Ich bin immer auf Seite der Putzfrauen. Ich bin so aufgewachsen. In der Schule habe ich nicht die Erbfolge kriegführender Königshäuser gelernt, sondern die Geschichte der Arbeiterklasse seit dem Faustkeil. Ich glaube noch immer an die Utopie der Befreiung der Armen und Ausgebeuteten und kann die Preußenkönige nur auseinanderhalten, weil einer davon Flöte spielte. Aber manchmal liegen die Dinge tiefer.
Das Haus, in dem ich wohne, gehört einem Maurer. Er besitzt ein Büro im Anbau, die Stuckwohnungen sind vermietet oder verkauft. Sein einziger Freund ist der Hausmeister. Manchmal sitzen sie auf dem Hof und trinken ein Herrengedeck miteinander. Kommunikativ sind der Maurer und der Hausmeister auf gleicher Höhe, auch wenn sie nicht denselben Dialekt sprechen. Sie haben auch etwa das gleiche Wissen über mein Haus, sie haben es gemeinsam saniert. Der Maurer hat die Hausruine nach der Wende billig gekauft und von den Mietern bereinigt. Der Hausmeister hat ein Handy. Ruft man ihn an, weil die Tür klemmt, sagt er, das müsse der Maurer entscheiden. Bittet man ihn darum, zu zeigen, wo die Telefonleitung verläuft, sagt der Maurer zu ihm: „Du hältst den Mund.“ Entscheidet der Maurer, der Hausmeister solle früh um halb fünf laut Schnee schieben, schiebt der Hausmeister laut Schnee. Der Maurer fährt mit einem silbergrauen Mercedes vor, bei Sonne benutzt er ein Cabriolet derselben Marke. Der Hausmeister kommt mit einem alten MIFA -Damenrad, auch wenn es schneit. Es könnte mir eigentlich egal sein. Der Hausmeister hat sich nie beklagt. Aber jetzt ist er arbeitslos. Es gab einen Rechtsstreit. Seit der Maurer nicht mehr mir die vollen Kosten in Rechnung stellen darf dafür, dass ihm der Hausmeister sein Dachgeschoss ausbaut, kann er ihn nicht mehr beschäftigen. Die Moral: manchmal findet man sich, ohne Absicht, auf der falschen Seite wieder.
Unsere Autorin Antje Rávic Strubel lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihren 2007 erschienen Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.
Antje Rávic Strubel
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