zum Hauptinhalt

Homepage: Hilfe für „Rabenmütter“

Die Auftaktfrage eines internationalen Workshops am Zentrum für Zeithistorischen Forschung (ZZF) Potsdam hatte einen ironisch-provokanten Unterton: „Ist das deutsche Halbtagsmodell für Kindergärten und Schulen ein Sonderweg in Europa?“ Ironisch scheint die Frage, weil sie ein bisschen nach Extrawurst im europäischen Streben um die Angleichung der internationalen Betreuungskonzepte klingt.

Stand:

Die Auftaktfrage eines internationalen Workshops am Zentrum für Zeithistorischen Forschung (ZZF) Potsdam hatte einen ironisch-provokanten Unterton: „Ist das deutsche Halbtagsmodell für Kindergärten und Schulen ein Sonderweg in Europa?“ Ironisch scheint die Frage, weil sie ein bisschen nach Extrawurst im europäischen Streben um die Angleichung der internationalen Betreuungskonzepte klingt. Und provokant, weil viele unter dem Titel „Wohlfahrtsstaat, Öffentliche Bildung und Kinderbetreuung“ zusammengekommene Teilnehmer wohl ahnten, dass der deutsche Sonderweg in einer Sackgasse enden könnte.

Die Veranstaltung am vergangenen Wochenende war zum einen Plattform für die Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojektes, bei dem untersucht worden war, wie sich Bildungspolitik im westlichen und östlichen Nachkriegseuropa entwickelt hat: Die Geschichte der einzelnen Länder mache deutlich, warum es heute in Europa so viele Modelle für Bildung und Betreuung im Vorschul- und Grundschulalter gibt, sagte Tagungsleiterin Professor Karen Hagemann von der TU Berlin. Der Workshop diente auch als Forum zur Diskussion der verschiedenen Modelle.

Professorin Kimberly Morgan von der George Washington University (USA), präsentierte die Ergebnisse ihrer vergleichenden Studie zu Kinderbetreuung und frühkindlicher Bildung in verschiedenen europäischen Ländern. Deutschland gehöre zu jenen Ländern, so Morgan, in denen sich Beruf und Kind besonders schlecht vereinbaren lassen. „Es ist für junge Mütter nahezu unmöglich, berufstätig zu sein, wenn die Kitas bereits um 13 Uhr schließen“, erklärte sie. Ganztägige Einrichtungen gebe es bisher fast nur in Großstädten, wie Berlin oder Hamburg.

Als besonders hinderlich bei der Etablierung ganztägiger Betreuung erweise sich das in den alten Bundesländern oftmals noch fest verankerte Rollenbild vom „Heimchen am Herd“,sagte Professorin Ute Gerhard vom Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. „Besonders in Kleinstädten gelten Frauen immer noch als Rabenmütter, wenn sie ihre Kinder ganztägig betreuen lassen wollen“, sagte Gerhard. Dieser Umstand mache es besonders jungen Akademikerinnen schwer, sich für ein Kind zu entscheiden. Morgan fand bei ihren Studien die Bestätigung für eine lang gehegte Vermutung: Danach besteht ein direkter Zusammenhang zwischen den Kinderbetreuungsangeboten und der Geburtenquote eines Landes. So werden in Ländern, wie Frankreich, Belgien, Schweden und Ungarn, die eine kostenlose Ganztagsbetreuung anbieten, deutlich mehr Kinder geboren, als in Deutschland, Österreich, Polen und Italien, wo das Halbtagsmodell noch die Norm ist.

Morgan bemängelte am deutschen Modell außerdem die immer noch vorhandene Trennung zwischen Betreuungs- und Bildungsangeboten. „Wenn man erst im letzten Kindergartenjahr mit Sprachförderung oder musikalische Früherziehung anfängt, ist das zu spät. Das zeigen die PISA-Ergebnisse“, so Morgan.

Gelobt wurde hingegen von vielen Teilnehmern das skandinavische „educare modell“. Dort werde Bildung ganz selbstverständlich in die Betreuung der Kleinsten integriert. Juliane Schoenherr

Juliane Schoenherr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })