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Landeshauptstadt: Hilfe im Wahlkampf – und in der Not

Potsdamer Wirtschaftspsychologen bereiten Banker auf Überfälle vor / Notfallpsychologie im Katastrophenfall

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Potsdamer Wirtschaftspsychologen bereiten Banker auf Überfälle vor / Notfallpsychologie im Katastrophenfall Von Michael Erbach Eine der ungewöhnlichsten Potsdamer Telefonnummern ist im Internetauftritt der Firma Gideon zu finden: Unter 7470013 können Mitarbeiter von Banken und anderen Geldinstituten Rat und Hilfe finden – in der Not, denn es handelt sich um eine Überfall-Interventions-Hotline, erreichbar nach Banküberfällen oder Geiselnahmen. Wer die Nummer anwählt, kann auf fachmännische Betreuung durch Gideon-Mitarbeiter hoffen. Das Unternehmen residiert in einem mehrstöckigen Gebäude im Babelsberger Konsumhof. Seit 15 Jahren ist Gerd Reimann Geschäftsführer, seit zehn Jahren betreibt er seine Geschäfte von Potsdam aus. Reimann ist Psychologe, doch das Tätigkeitsspektrum seiner Firma hat mit der üblichen klinischen Psychologie zunächst nur wenig zu tun: Es reicht von Beratung bei Personalauswahl und Personalentwicklung in Unternehmen, über die Betreuung von Genehmigungsverfahren, vom Wahlkampfmanagement bis zur besagten Raubüberfallprävention und dem jüngsten Betätigungsfeld: der Notfallpsychologie bei Katastrophen – dazu zählen schwere Unfälle, Amokläufe oder terroristische Anschläge. „Für all diese Betätigungsfelder sind natürlich gute Kenntnisse der klinischen Psychologie Voraussetzung“, sagt Reimann, der 1986 im Bereich der psychologischen Diagnostik promovierte. Letztendlich gehe es immer um die Psyche des Menschen, sein Verhalten in bestimmten Situation, das Eingehen auf seine Bedürfnisse, um das Ergründen von Verhaltensmustern und die Einflussnahme darauf. So richtet sich Gideon derzeit wieder darauf ein, Politiker im bevorstehenden Bundestagswahlkampf zu unterstützen. „Wir gehen mit den Kandidaten direkt auf die Straße“, erzählt Reimann. Zuvor werde ein Kommunikationskonzept erarbeitet, das auf die Persönlichkeit des Kandidaten und die potenziellen Wähler zugeschnitten ist. Dafür sei das aus den US-Wahlkämpfen stammende „Canvassing“ (dt.: Dosenöffnen) der Wähler auf hiesige Verhältnisse übertragen worden. Der Gideon-Chef ist sich sicher, dass psychologische Wahlkampfunterstützung „am Ende mehr Stimmen bringen wird“. Auch für Notfälle stehen die Wirtschaftspsychologen von Gideon bereit. Mitarbeiter von Banken und Kreditinstituten steht zum einen die Überfall-Hotline zur Verfügung. Reimann wäre es aber am liebsten, wenn die Hotline tatsächlich nur in Ausnahmefällen genutzt werden würde. Er setzt auf eine „mentale Vorbereitung auf das Ereignis“. Reimann: „Das nimmt dem Ereignis, wenn es eintrifft, die traumatisierende Wirkung.“ Und so erfahren Finanzdienstleister in Schulungen, wie Täter funktionieren, welche Handlungsmuster ablaufen und wie man sich in der Extremsituation eines Überfalls oder einer Geiselnahme verhalten muss. Dafür sind hunderte von Überfällen ausgewertet worden, haben sich die Wirtschaftspsychologen von Gideon aber auch mit Abläufen in den Banken und mit technischen Details beschäftigen müssen. Die Erfahrungen hätten gezeigt, „dass geschulte Mitarbeiter ein solches Ereignis wesentlich einfacher verarbeiten können“, sagt Reimann. So dürften Bankangestellte die Forderung nach Geld niemals verneinen, selbst wenn sie sie nicht erfüllen könnten. Es gehe darum, „positiv auf den Täter einzugehen, seine Forderungen zu bejahen – ihn aber niemals vor den Kopf stoßen.“ Das neueste Betätigungsfeld hat sich Reimann, der auch Vorstandsmitglied im Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) ist, nicht ausgesucht – es ist der aktuellen Entwicklung geschuldet. „Nach dem Tsunami und den immer öfter stattfindenden Terrorattacken hat das Präsidium des BDP beschlossen, ein Netzwerk von Psychologen aufzubauen, die im Katastrophenfall professionell helfen können“, berichtet der 49-Jährige. Über 40 Psychologen stünden bundesweit bereit, um bei Großschadenslagen als Notfallpsychologen die psychologische Behandlung der Opfer zu organisieren. Nach Schockphase und erster Hilfe vor Ort müsse in einer zweiten Stufe durch Kurzzeitintervention gemeinsam mit den Betroffenen das Ereignis durchgespielt und „versprengte Erinnerungsstücke zusammen gefügt werden – wie Teile eines zerbrochenen Spiegels“. Katastrophenopfer könnten durch diese Form der Verarbeitung vor posttraumatischen Belastungsstörungen – die oft Monate später auftauchen – bewahrt werden. Reimann und die anderen Notfallpsychologen stehen für den Katastrophenfall bereit, doch warnt der Gideon-Chef davor, wegen der Gefahr terroristischer Anschläge in Panik zu verfallen. Der Psychologe: „Es ist schon eine Angst da, dass es passieren könnte, aber auch das Vertrauen, dass die öffentlichen Stellen die Situation relativ gut im Griff haben.“ Die Einzelperson könne sich auf Anschläge ohnehin nicht vorbereiten. „Die Nachrichten, die wir aus England oder anderswo bekommen, wirken einem Abstumpfen eher entgegen. Eher wird man sensibler.“ Reimann ist davon überzeugt, „dass wir in Deutschland gut aufgestellt sind“. Bahn, Polizei und Innenbehörden würden ihr Möglichstes tun. „Ein Terrorakt würde uns nicht unverhofft treffen.“ Sollten Terroristen zuschlagen, dann wäre Berlin mit Sicherheit bevorzugtes Ziel. „Potsdam hingegen ist nicht erste Wahl“, so der Gideon-Chef. Allerdings könne man nicht ausschließen, dass es auch hier passieren kann, „touristische Zentren sind schließlich schon öfter Ziel von Anschlägen gewesen.“ Reimann: „Es kann also auch uns treffen. Doch Panikmache hilft nichts. Wir müssen nüchtern und sachlich bleiben.“

Michael Erbach

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