ATLAS: Hinschauen
Michael Erbach begrüßt die Ausstellung in der Lindenstraße 54
Stand:
Zu DDR-Zeiten machten Potsdamer gewöhnlich einen Bogen um das Areal in der damaligen Otto-Nuschke-Straße oder wechselten – voller Unbehagen – die Straßenseite, wenn sie doch dort entlang mussten. Alle wussten, was sich hinter den Mauern der Hausnummer 54 verbarg. Was dort wirklich geschah, wussten allerdings nur zwei Gruppen von Menschen: Täter und Opfer. Der Gebäudekomplex Lindenstraße 54 war ein Ort des Terrors, der Folter und der politschen Justiz: zu Zeiten des Faschismus, der sowjetischen Besatzung und zu DDR-Zeiten. Das macht dieses Haus so wichtig, zeigt es doch die Kontinuität von politischer Gewalt in Diktaturen. 6698 Menschen waren allein zu SED-Zeiten zwischen 1952 und 1989 dort inhaftiert. Das überwältigende Echo auf die gestrige Ausstellungseröffnung und die bewegenden Momente während des Rundgangs zeigen nicht nur, wie lebendig erlebte Geschichte heute noch ist. Es stellt sich auch die Frage, warum es nach der Wende 17 Jahre brauchte, um diesen Tag – der auch ein Tag der Verneigung vor den noch lebenden Opfern ist – stattfinden zu lassen. Bleibt zu hoffen, dass dieses Ereignis keine Eintagsfliege ist. Statt wegzuschauen wie damals, dürfen wir heute hinschauen auf das, was geschah. Nein, wir müssen.
Michael Erbach
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