Landeshauptstadt: Hinterköpfe zählen für die Knef
Für den neuen Film „Hilde“ mit Heike Makatsch werden Komparsen gesucht: Besuch eines Castings
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Es ist wie in Polizeigewahrsam. Victoria steht kerzengerade vor einem Fenster, das mit den weißen Rückseiten von Postern zugehangen ist. Vor ihrer Brust hält sie einen Zettel, auf dem eine siebenstellige Nummer steht. Zettel weglegen, Seitenprofil. „Nicht lachen“, mahnt der Fotograf. Wir befinden uns in einem gelb gestrichenen Raum, die Wände sind mit Edding vollgeschmiert. Spätestens jetzt hört die Assoziation mit der Polizei auf. Denn wir sind nicht auf der Wache, sondern in einem Hinterzimmer im „Lindenpark“. Victoria ist eine von den vielen Leuten, die vergangenen Freitag nach Babelsberg gekommen sind, um sich für den Film „Hilde“ mit Hauptdarstellerin Heike Makatsch casten zu lassen. Das Leben der Hildegard Knef wird verfilmt. Die Dreharbeiten sind bereits in vollem Gange, aber es fehlen hunderte von Komparsen.
Die 24-jährige Potsdamer Studentin steht Punkt 15 Uhr, als das Casting beginnt, im Raucherraum des Lindenparks, der für die Aktion genutzt wird. An einem Tisch holt sie sich einen Fragebogen ab. Ein DIN-A4-Blatt, beidseitig bedruckt. Name, Brustumfang, Religion – die „agentur wanted“ aus Berlin, die die Komparsensuche veranstaltet, will viel wissen. Welchen Dialekt spricht man? Kann man steppen? Hat man Narben, Tattoos, Piercings?
Victoria sitzt allein an einem kleinen Tisch in einer Ecke, die schlecht ausgeleuchtet ist. Der Tisch klebt. Aber sie konnte sich einen Sitzplatz sichern. Denn die wenigen Stühle im Raum sind sofort besetzt. Die Leute füllen die Fragebögen im Stehen aus, an der Wand schreibend. Victoria beugt sich tief nach unten, um die Schrift zu erkennen. In die Spalte mit Sprachkenntnissen schreibt sie „polnisch“. Sie kommt ursprünglich aus Frankfurt/Oder. „Polnische Verwandtschaft“, sagt sie und lächelt.
Nach 15 Minuten legt sie den Stift beiseite. „Na toll, jetzt sind natürlich wieder alle gleichzeitig fertig mit Ausfüllen“, bewertet sie die wartende Schlange vor dem Tisch, an dem die Fragebögen abgegeben werden. Sie reiht sich ein.
Minuten vergehen. Sie rückt vor. Immer noch warten. Es gibt nichts zu sehen, außer den Hinterköpfen derer, die vor ihr warten. Nach einer Viertelstunde kann sie ihren ausgefüllten Zettel abgeben. Jetzt bekommt Victoria ihre Nummer. In großen grünen Ziffern steht sie auf einem weißen Blatt. Damit betritt sie einen blauen Flur, an dessen Ende eine Tür offen steht. Über dem Türrahmen sind drei goldene Sterne angebracht. Wie passend. Man denkt sofort an den Walk of Fame in Los Angeles, wo unter anderem Schauspieler mit einem in den Gehweg eingelassenen Stern geehrt werden. Wer weiß, vielleicht wird der ein oder andere ja beim Dreh – sollte er als Komparse genommen werden – entdeckt? „Ich bin realistisch genug, zu wissen, dass hier nichts Großes bei rausspringen wird.“ Reich und berühmt? „Ich mache das nur aus Spaß an der Sache. Außerdem bin ich jung und brauche das Geld“, kommentiert die Studentin ihr Kommen. Außerdem sei gerade Klausurenzeit und es ließe sich bei so einem Dreh einfach besser lernen. Denn meist ist man als Komparse den ganzen Tag am Drehort und wartet einen Großteil der Zeit darauf, eingesetzt zu werden. Sollte sie genommen werden, kann sie sich über 55 Euro Tagesgage freuen. „Wenn man das mal auf einen Stundenlohn runter rechnet, nicht grad viel“, findet Victoria, „aber man wird ja auch nicht überfordert.“
Mittlerweile ist es 15.35 Uhr. Hinter der offen stehenden Tür am Ende des blauen Flurs wartet ein Fotograf. Jetzt geht alles ganz schnell. Fünf, sechs verschiedene Bilder werden gemacht. Es dauert keine drei Minuten. „Danke. Der nächste bitte“, ruft der Fotograf in den Flur. Erst wie bei der Polizei, jetzt wie beim Arzt. 40 Minuten nach Ankunft steht Victoria wieder draußen auf dem Hof. Bleibt nur zu hoffen, dass wir im Frühjahr kommenden Jahres dieses hübsche Gesicht auf der Kinoleinwand sehen werden. Vielleicht ist das ja der Beginn einer großen Karriere.
Denn trotz aller Bescheidenheit: mit so einem Stern auf dem Walk of Fame hätte man seinen Enkeln eine Menge zu erzählen.
Juliane Probst
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