Landeshauptstadt: Holpriger Ritt auf der Welle des Baubooms
Gemeinde Fahrland bringt 31 Millionen Euro Kredit-Schulden mit nach Potsdam
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Gemeinde Fahrland bringt 31 Millionen Euro Kredit-Schulden mit nach Potsdam Mit der Kommunalwahl am 26. Oktober soll Potsdam per Eingemeindung sieben neue Ortsteile bekommen, die an dieser Stelle vorgestellt werden. Heute: Fahrland Von Winfried Gutzeit „Der Ortsbeirat ist für mich ein Auslaufmodell“, sagt Bürgermeister Claus Wartenberg skeptisch. Den jetzt durch Gesetz neu definierten Ortsbeirat hält er für eine Übergangsregelung und nur für die nächsten fünf Jahre gedacht. „Die Leute sollen mal richtig lesen, für unseren Fall der Zwangseingemeindung steht das doch so drin im Gesetz.“ Wenn sich wirkliche Leute für den Ortsbeirat fänden, so würden die unter diesen Bedingungen nach den fünf Jahren kaum noch einmal antreten. Claus Wartenberg ist seit der Kommunalwahl im Mai 1990 Bürgermeister von Fahrland. Bis zur vorgezogenen Wahl nach der Ämterbildung war er hauptamtlicher Bürgermeister, seitdem belegt er diesen Platz ehrenamtlich. Fahrland war bis 1990 einer der zentralen Orte im Havelländischen Obstanbaugebiet, dort befanden sich große Kühlhallen für die Einlagerung der Obsternte. Auch die Infrastruktur war für DDR-Verhältnisse „gar nicht so schlecht“, immerhin gab es einen Fleischer, einen Konsum, Kommisionshändler. „Sogar in Kartzow hatten wir eine kleine Verkaufsstelle.“ Heute existiert immerhin noch immer ein großer Verbrauchermarkt am Dorfrand. Kindergarten und Kinderkrippe waren immer gut besucht, die Krippe musste nach der Wende geschlossen werden. Die Trinkwasserleitungen waren erst Ende der 80er Jahre erneuert worden. Anfang der 90er Jahren kam das Gasversorgungsunternehmen und legte für die gesamte Gemeinde die Leitungen. „Daran haben sich erfreulicherweise beinahe alle Fahrländer beteiligt.“ Für das Neubaugebiet „Am Königsweg“ war von vornherein eine zentrale Wärmeeversorgung mit einem Heizwerk auf Erdgasbasis vorgesehen. „Wir sind mit dem Ausbau der Infrastruktur im Wesentlichen fertig“, sagt Wartenberg. Momentan laufen noch die Vorbereitungen für den Bau eines Gehwegs von der Ortsmitte entlang der Marquardter Straße bis zur Kita. Nach der Wende wollte die Gemeinde auf der großen Welle des Baubooms mitreiten und kaufte große Flächen, für die sie große Kredite aufnahm. Auf den heutigen Gebieten „Am Königsweg“ und „Eisbergstücke“ befanden sich bis 1991 völlig überalterte Apfelplantagen. „Die mussten ohnehin gerodet werden.“ Danach kamen gleich die „schlauen Investoren“ mit ihren Vorstellungen von Wohnbesiedlung. Die Gemeinde wollte die erworbenen Flächene dann mit ihrer Gesellschaft EGF (Entwicklungsgesellschaft Fahrland) in eigener Regie entwickeln und verkaufen. „1995 war das Desaster aber bereits abzusehen, die erschlossenen Baugebiete gingen nicht in gewünschter Weise weg. Nun haben wir 31 Millionen Euro am Hals.“ Nach der Eingliederung wird das Land wohl kaum um eine Teilentschuldung herumkommen. „Warum hat man uns das nicht gleich angeboten?“, wundert er sich. Von den Schulden merken die Bürger eigentlich wenig, „Einschnitte in das Lebenniveau der Kommune hat es nicht gegeben“. Die Feuerwehr ist bestens ausgestattet, der Fleischer ist noch im Dorf, es sind auch zwei Lebensmittelgeschäft im Ort zu finden. „Vor der Wende sind wir einmal in der Woche nach Falkenrehde gefahren, um frische Brötchen zu kriegen, das haben viele schon vergessen.“ Etliche der Neubürger sehen das aber anders und ärgern sich. „Die ziehen in ein Haus mit Fahrstuhl und Tiefgarage und wollen vielleicht auch noch die S-Bahn im Keller haben“, ärgert er sich. Warum sind sie dann erst aufs Dorf gezogen? Und dann kommt aus dieser Ecke oftmals als erstes die Forderung: Der Kinderspielplatz muss weg, weil die Kinder Lärm machen! Die kommunale Kita wird in nächster Zeit den Träger wechseln. Wegen des großen Bedarfs steht die Gemeinde derzeit mit dem Verein „Independent Living“ über einen Kita-Neubau in Verhandlung. Dieser Verein ist anerkannter freier Träger der Jugendhilfe und kann auf große Erfahrungen in Frankfurt (Oder), Berlin und Potsdam zurückgreifen. Ein Vertrag wurde noch nicht unterschrieben, das will die Gemeinde dann Potsdam überlassen. „Wir erwarten aber, dass sich die Stadt jetzt nicht aus der Verantwortung stiehlt und unser Kindergarten-Neubauprojekt weiterführen wird.“ Im Vorfeld der Gebietsreform war klar: „Potsdam wollte uns eigentlich gar nicht.“ Das hatte Wartenberg noch von Matthias Platzeck erfahren. Beim derzeitigen Verfahrensweg habe er jedoch den Eindruck: „Potsdam tut so, als wären wir der Abtreter. Wir hätten aber ganz gut in einer Großgemeinde weiter existieren können.“ Ohne die Einschränkungen beim Bevölkerungszuwachs durch das Land hätte Fahrland auch einen Teil seiner Schulden selbst abbauen können. Die Eingemeindung wird die Bürger hart treffen. Gerade die kleinen Gewerbetreibenden werden an den höheren Versicherungsprämien für ihre Fahrzeuge zu knabbern haben. Auch die Steuersätze sind in Potsdam höher. „Da kann uns auch der Eingliederungsvertrag mit seiner Übergangszeit nicht helfen, denn Potsdam steht genauso wie wir unter dem Kuratel der obersten Kommunalaufsicht.“ POTSDAM WIRD GRÖSSER – DIE NEUEN ORTSTEILE IM PORTRÄT (4)
Winfried Gutzeit
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