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Landeshauptstadt: Hortkinder erleben Piratenabenteuer

Im Waldhort werden 23 Kinder betreut. Das Konzept dafür wurde im Wettbewerb „Ideen für die Bildungsrepublik“ ausgezeichnet.

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Es ist nicht weit bis zur Pirateninsel. Der Weg führt durch ein Wohngebiet, über eine kleine und eine große Straße, über die Wiese am Waldrand und schon ist man dort. Zehn kleine Piratinnen und Piraten und der Piratenkapitän haben sich auf den Weg dorthin gemacht. Von den dunklen Gewitterwolken am Horizont lassen sie sich nicht abschrecken. Im Bollerwagen haben sie alles dabei, was zum Piratendasein dazugehört: Den Anker für das Schiff, Piratenflagge, Schatztruhe, Hängematten, Fernrohre. Und natürlich die Regenjacken.

Piratenkapitän Gunter Grün-Oostinga leitet im wirklichen Leben kein Piratenschiff, sondern den Waldhort, der an den Hort „Feldmäuse“ im Kirchsteigfeld angebunden ist. Für zwei Stunden taucht er mit den sieben- bis elfjährigen Ferienkindern ein in eine Welt, in der Schiffe geentert und Schätze gehoben werden. „Piraten sind ein typisches Ferienthema“, sagt er. In Schulzeiten betreut der Sozialpädagoge mit naturpädagogischer Ausbildung gemeinsam mit einer Kollegin 23 Kinder der ersten bis sechsten Klasse. Für sein pädagogisches Konzept ist der Waldhort unter Trägerschaft der Independent Living Potsdam gGmbH nun ausgezeichnet worden. Er gehört zu den Preisträgern des diesjährigen Wettbewerbs „Ideen für die Bildungsrepublik“, der von der Initiative „Deutschland - Land der Ideen“ zum zweiten Mal ausgerufen wurde. Von den über 1100 eingereichten Bildungsideen hat die Jury 52 Projekte ausgewählt, die Bildungsgerechtigkeit für Kinder und Jugendliche fördern.

An vier Tagen in der Woche sind die Waldhortkinder nach der Schule zweieinhalb Stunden unterwegs im Grünen, entdecken Tiere und Pflanzen, bauen Buden, klettern über Wurzeln und Steine. „Ich selbst war als Kind sehr viel draußen und habe daran schöne Erinnerungen“, sagt Grün-Oostinga. Zeit in der Natur verbringen – diese Erfahrung würden viele Kinder heute immer seltener machen. Dies bedauerten auch viele Eltern, so der Pädagoge. Vor fünf Jahren entwickelte er gemeinsam mit seiner Ehefrau Vera das Waldhort-Konzept, in dessen Mittelpunkt das Erleben der Natur steht. „Wir haben drei bis vier Lieblingsplätze, die wir immer wieder aufsuchen“, erklärt Grün-Oostinga. Mit dem Fahrrad fahren die Kinder etwa in die Nuthewiesen oder auf die „Märchenwiese“ in der Parforceheide. „Wir wollen für die Kinder einen Ausgleich zum Schulalltag schaffen, Entwicklungsanreize geben, für die Natur sensibilisieren“, beschreibt Grün-Oostinga die Ziele des Waldhorts. Bei ihren Ausflügen beschäftigen sich die Kinder jedes Jahr mit einem neuen Thema. Auf der „Zukunftsreise“ bauten sie etwa Solarspiegel aus Satellitenschüsseln und Windgeneratoren aus Fahrraddynamos. Auf der „Zeitreise“ erlebten sie den Urknall und wandelten auf den Spuren der Urmenschen.

Die Piraten sind inzwischen auf der Pirateninsel eingetroffen. Ein Schiff aus Baumstämmen und Ästen wartet schon auf sie. Von der Nähe der Stadt ist kaum mehr etwas zu spüren. Auf der Wiese zirpen Grillen, Milane kreisen am Himmel, ein Kolkrabe krächzt. Auf dem Piratenschiff setzen Elisa, Laurin und Louis das rot-weiß gestreifte Segel mit dem Drachen, eine steife Brise lässt es flattern. Die anderen Kinder befestigen die Hängematten an den Bäumen, werfen den Anker, packen ihre Brotbüchsen aus und binden ihre Seeräubertücher um die Köpfe. Der Kapitän zeigt, wie ein richtiger Seemannsknoten gemacht wird. Mit dem „Mastwurf“ wird eine Plane über das Schiff gespannt, unter der es sich die Kinder nun gemütlich machen. Piratenpicknick.

„Die Natur ist ein Lernraum, der sehr viele Bewegungsmöglichkeiten und Materialien bietet“, sagt Grün-Oostinga. Für die Kinder werden Stöcke zu Schwertern, die Wiese wird zum Meer. Nebenbei entdecken sie Schmetterlinge, Schnecken, Vögel und eine tote Maus, an der Waldameisen ihrer Aufgabe als Waldpolizei gerecht werden. Fantasie und Körper werden durch Rollen- und Bewegungsspiele gefordert.

Derzeit arbeitet der Waldhort an seiner Erweiterung. „Die Resonanz ist groß“, so Grün-Oostinga. Zum Beginn des neuen Schuljahres soll eine zweite Waldhort-Gruppe mit noch einmal 23 Plätzen zur Verfügung stehen. Das neue Domizil in Drewitz - das „Baumhaus“ - wird voraussichtlich im Frühling des kommenden Jahres bezogen. Dort sollen 80 Hort- und 40 Kitakinder betreut werden.

Auf der Pirateninsel kehrt nun wieder Ruhe ein. Der Schatz ist gefunden, der verfeindete „Rote Korsar“ vertrieben. Segel und Hängematten werden im Bollerwagen verstaut. Müde und zufrieden treten die Kinder den Rückweg an. Und auch ein bisschen wehmütig. Denn eigentlich wären sie gern noch länger Piraten geblieben.

Heike Kampe

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