Aus dem GERICHTSSAAL: Hundertwasser im Bettkasten
Gutachter: „Kaufsüchtiger“ ist voll schuldfähig
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Aus dem GERICHTSSAALGutachter: „Kaufsüchtiger“ ist voll schuldfähig Schöne Dinge, besonders Kunstgegenstände, zogen Jan J. (40, Name geändert) magisch an. Allerdings fehlte dem arbeitslosen Restaurantfachmann das Geld, derartige Luxusartikel legal zu erwerben. An die Ebbe in seiner Kasse dachte Jan J. nicht, füllte er im Vorjahr Bestellschein für Bestellschein beim Versandhandel aus. Rund 30 000 Euro – so der Staatsanwalt in seinem gestrigen Plädoyer vor dem Schöffengericht – hätte der Schaden betragen, wäre die Ware an den Potsdamer geliefert worden. Doch der hatte bereits 2002 wegen seines Schuldenberges die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Das Versandhaus war gewarnt. Monate vorher orderte Jan J. – er bezeichnete sich selbst als kaufsüchtig – allerdings Leuchtröhren, zwei Wassersäulen, Lautsprecherboxen, Computerzubehör sowie einen DVD-Player unter Phantasienamen. Der Plan ging auf, allerdings währte die Freude an den Objekten seiner Begierde nicht lange. „Ich habe die Pakete ungeöffnet in den Keller gebracht. Sobald ich sie hatte, war der Kick vorbei.“ Einmal machte der Ex-Kellner eine Ausnahme. Bevor ein 20-teiliges Service des Künstlers Friedensreich Hundertwasser – gleichfalls unter einem fiktiven Namen bestellt – in seinem Bettkasten verschwand, lugte er kurz in die Verpackung. „Vielleicht hätte ich es irgendwann bezahlen können. Dann hätte ich es in meine Vitrine gestellt“, erklärte der wegen Betruges und Urkundenfälschung Angeklagte. Im Grunde habe er gehofft, durch Ratenzahlung einmal aus dem Schlamassel herauszukommen. Inzwischen habe er es geschafft, den DVD-Player zu bezahlen, berichtete Jan J. Die anderen Artikel wurden bei einer Hausdurchsuchung von der Polizei beschlagnahmt. Im Sommer 1999 gab es schon einmal eine Verhandlung gegen den Potsdamer. Hier wurde er wegen 62-fachen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten auf Bewährung verurteilt. Jan J. hatte im Kaufrausch unter anderem Wein für Tausende von Mark bestellt, ohne die Rechnung begleichen zu können. Dabei trinke er überhaupt keinen Alkohol, habe mit den Flaschen im Regal nur „renommieren“ wollen, stellte er klar. Inzwischen habe er professionelle Hilfe in Anspruch genommen, um die Kaufsucht zu besiegen. Bunte Kataloge, die ihn einst verführten und nach wie vor in seinen Briefkasten flattern, flögen im Handumdrehen in den Müll. „Das passiert mir bestimmt nicht wieder“, versicherte er gestern in seinem letzten Wort. Dr. Klaus Simon (45), Arzt für Neurologie und Psychiatrie, attestierte dem Potsdamer eine narzisstische Persönlichkeit, die sich durch den Besitz von Luxus aufwerte, um ihre Eitelkeit zu befriedigen. „Das Verhalten des Angeklagten ist am ehesten mit dem von Hochstaplern vergleichbar, die sich eine Scheinwelt aufbauen“, betonte der Gutachter. Die für das Gericht spannende Frage nach der Schuldfähigkeit beantwortete er eindeutig mit ja. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Dr. Birgit von Bülow verurteilte Jan J. daraufhin zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, ausgesetzt zu vierjähriger Bewährung. Er muss sich in psychotherapeutische Behandlung begeben und 150 Stunden unentgeltlich arbeiten. Hoga
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