
© Manfred Thomas
Interview mit Traumatherapeuten in Potsdam: „Ich arbeite mit den Schattenseiten“
Der Potsdamer Traumatherapeut Ahmed Al-hafedh behandelt in seiner Praxis im Holländischen Viertel Flüchtlinge und Pegida-Anhänger. Im Interview sagt er, was hinter der Angst vor Flüchtlingen steckt.
Stand:
Herr Al-hafedh, die einen werden in der Gesellschaft als Opfer, die anderen eher als Täter wahrgenommen. Inwiefern ist das für Sie eine Herausforderung?
Für mich ist das keine Herausforderung. Dass ein Flüchtling ein Opfer ist, ist im Normalfall nicht so schwer zu greifen. Dass ein Pegida-Anhänger ein Täter ist, ist für mich nicht so selbstredend.
Warum kommen Letztere zu Ihnen?
Auf den ersten Blick ist das ein Paradox, dass ein Pegida-Anhänger bei einem Ausländer, speziell bei einem Araber, einem Iraker, in Therapie ist. Bei differenzierter Betrachtung zeigen diese Menschen aber durch ihr Kommen, dass sie doch gewillt sind, mit Ausländern zu leben oder so weit zu gehen, ihre intimsten Gefühle auszubreiten. Ich bin ja kein Bäcker oder Friseur, ich bin Psychotherapeut: Diese Leute schenken mir ihr tiefstes Vertrauen.
Wie erklären Sie sich das?
Ein paar kommen, weil ihr Hausarzt mich empfohlen hat oder weil sie im Internet mein Foto gesehen haben und mich sympathisch fanden. Manche sagen, sie wollten zu einem Therapeuten, bei dem sie das Gefühl hatten, dass er sie verstehen würde. Das ist spannend, dass sie sagen, der Araber würde sie besser verstehen als der Deutsche.
Wie äußert sich dieser Widerspruch in der Therapie?
Auf der einen Seite kommt ein Typ Mensch, der lässt seinem Frust gegen Ausländer freien Lauf bis zu einem Punkt, wo es mir teilweise unangenehm wird. Das ist für mich manchmal eine interaktive Herausforderung, bei der ich überlege: Hat der völlig vergessen, wie ich heiße? Auf der anderen Seite geht es bei der Thematik Flüchtlinge und Islamisierung letztlich um das tiefe Gefühl der Angst. Auch wenn meine Patienten nicht jeden Tag konkret darüber sprechen, ist sie sehr spürbar: „Die Flüchtlinge kommen in Massen, die stehen Schlange vor einem Gebäude, wo ich mein Büro habe. Sie machen alles kaputt, bewirken ein Chaos und sind rücksichtslos.“ Das ist ein Amalgam aus Zuschreibungen. Ein Teil davon ist nicht rational, sondern pathologisch. Ein Massenphänomen, bei dem der eine sagt: „Hast du gehört, was der Flüchtling gemacht hat?“ Und der andere erzählt: „Und die Merkel hat dieses und jenes gesagt.“ Ähnlich wie in dem Roman von Dürrenmatt „Der Besuch der alten Dame“, in dem die Dorfbewohner sich gegenseitig aufwiegeln.
Was ist der rationale Teil der Angst?
Ich kann verstehen, dass diese Menschen Angst haben. Es gibt Ängste, die berechtigt sind, aber teilweise leider mit den Füßen getreten werden. Das frustriert und ärgert mich ein bisschen. Von traumatisierten Patienten erfahre ich zum Beispiel, dass es in den Flüchtlingsheimen unter Menschen aus Afrika häufig zu Messerstechereien und Schlägereien kommt. Wenn ein Polizist in so einer Situation einen Einsatz hat, dann kriegt er nur dieses Bild vor Augen. Die Polizisten, die ich hier behandle, sagen mir zwar nicht, dass sie Pegida-Anhänger sind. Aber sie drücken teilweise aus, dass es ihnen bis hier oben steht. Andere wieder sagen: „Ich kenne keinen Ausländer, der gut ist. Ich kenne nur kriminelle Ausländer.“
Wie reagieren Sie konkret, wenn Ihre Patienten sich menschenverachtend äußern? Zeigen Sie ihnen eine klare Grenze?
Ja, ab einem gewissen Punkt zeige ich auch eine Grenze. Das ist sowohl therapeutisch gesehen als auch für meine eigene seelische und Arbeitshygiene wichtig.
Was steckt hinter der Angst vor Flüchtlingen?
Diese Menschen sind aus anderen Gründen zu mir gekommen, nicht wegen Pegida oder Flüchtlingen. Das sind teilweise Existenzängste von Menschen, die ein sehr geordnetes, aber finanziell knappes Leben führen. Teilweise handelt es sich um psychosoziale Ängste wie die Angst vor der Partnerin, vor dem Chef, vor Konflikten. Es kann sein, dass manche dieser Ängste auf die Flüchtlingsthematik verschoben werden. Anders ist das bei Menschen, die sich in rechtsextremen Foren und Gruppierungen engagieren. Ihnen fehlt eine stabile innere Struktur, sie haben keinen guten Zugang zu ihren Gefühlen, leiden unter einer massiven Wut. Bei ihnen findet auch eine Verschiebung statt, aber sie ist destruktiver und unkontrollierter, und sie sind leicht für rechtsextreme Ideen zu gewinnen.
Wie gehen Sie mit den Ängsten eines Pegida-Anhängers um?
Manchmal hat dieses Thema bei der Behandlung überhandgenommen, und es konnte über nichts anderes gesprochen werden. Ich versuche dann, beispielsweise an der Realitätsprüfung zu arbeiten: Inwieweit ist diese Angst wirklich begründet? Oder die Angst vor Gewalt und vor Terror durch Flüchtlingszunahme. Ich nehme diese Dinge ernst und gebe den Menschen Raum, um diese Ängste auszuleben. Ich bin der Psychotherapeut und arbeite mit den Schattenseiten, das heißt mit den tiefer liegenden Anteilen der Psyche, die entweder nicht bewusst sind oder nicht nach außen getragen werden können. Aber ich bin der Meinung, dass diese Herangehensweise nicht nur in der Therapie, sondern auch sozial und politisch angewandt werden könnte. Wir sollten nicht nur mit Flüchtlingen empathisch sein, sondern auch mit deutschen Bürgern, also auch mit Pegida-Anhängern. Integration sollte überall stattfinden.
Welche Folgen hat es, wenn man diese Ängste nicht ernst nimmt?
Ich befürchte, dass eine Unterdrückung der Angst vor Flüchtlingen sowie eine Verurteilung und Tabuisierung der Sorge vor einer Islamisierung Deutschlands genau das Gegenteil bewirken könnte. In anderen EU-Ländern sind rechtspopulistische Parteien längst auf dem Vormarsch. Hinter Hass stecken meistens Angst und Gefühle des Mangels. Diese bewusst zu machen, ist der Schlüssel für viele soziale und politische Konflikte.
Würden Sie der ersten großen Pegida-Studie von der Technischen Universität Dresden zustimmen, dass es sich bei den meisten Pegida-Anhängern um „ganz normale Bürger“ handelt?
Ohne Zweifel. Das bewegt mich sehr. Ich sehe und verstehe, dass diese Menschen jeden Tag um ihr Leben kämpfen, dass sie nicht im Geld baden, dass sie ehrlich sind mit dem, was sie tun, und dass sie teilweise sozial krass benachteiligt werden. Nicht unbedingt, weil sie zu den unteren Schichten der Gesellschaft gehören, sondern sie stellen fest, ihnen wird nichts geschenkt. Sie müssen täglich um ihr Brot kämpfen. Gleichzeitig stellen sie fest, Deutschland nimmt Flüchtlinge auf. Sie haben Bilder im Kopf, die nicht angemessen und rational sind, etwa von Flüchtlingen mit Handys und entwickeln daraus eine starke Wut und Ungerechtigkeitsgefühle. Aber dann sollte man mit ihnen den Austausch suchen. Viele solcher Vorurteile und Zuschreibungen könnten aufgehoben werden.
Warum lassen sich normale Bürger vor den Karren von Rechtsextremen spannen?
Wie gesagt, weil sie sich nicht gehört und verstanden fühlen. Was die Menschen teilweise nicht wissen oder berücksichtigen, ist, dass die Organisatoren rechtsextrem sind. Sie lassen sich gewinnen. Das ist das Erfolgsrezept der Pegida. Nach außen haben sich die Organisatoren immer distanziert vom rechtsextremen Gedankengut und gesagt: „Wir sind ehrliche Bürger, wir sind gegen die Islamisierung des Abendlandes.“ Damit erreichen sie viele Menschen. Für die ist das aber immer noch sehr beängstigend und beschämend, damit rauszukommen. Aber die Köpfe der Pegida haben damit ein tiefes Bedürfnis und eine große Sorge in der Gesellschaft getroffen. Und das sollte angesprochen werden im Sinne der Bearbeitung der Schattenseiten, statt das mit Füßen zu treten und zu verurteilen. Wenn man das tut, können Sie alle diese Gruppierungen – AfD, Pegida, NPD – knicken.
Der Rechtsextremismus der Mitte ist in Deutschland immer noch ein großes Tabu.
Ich glaube, dass es in Deutschland eine große Hemmung in dieser Richtung gibt. Ich hatte einen Pegida-Sympathisanten hier, der mir von einer regelmäßigen Pegida-Veranstaltung in seiner Kleinstadt erzählte. Er hat das verharmlost, indem er gesagt hat: „Das sind Menschen, die kenne ich seit 50 Jahren. Das sind seriöse Bürger.“ Aber hier wären wir wieder bei der Differenzierung zwischen Organisatoren und „Durchschnittsbürgern“ angelangt. Ich halte insgesamt Xenophobie, also die Angst vor dem Fremden, nicht nur für ein deutsches, sondern für ein universelles Phänomen.
Wie schätzen Sie den Rückhalt in der Bevölkerung ein?
Diejenigen, die sich zu Pegida bekennen, sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Zahl der Sympathisanten, die Dunkelziffer, ist wahrscheinlich eine ganz andere. Sie sind in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden. Die Menschen, die sich innerlich und äußerlich vom Gedankengut der Pegida distanzieren, stellen nach meinem Empfinden sogar eine Minderheit dar. Das wiederum erschreckt mich nicht, weil ich diese Ängste in Zeiten der grausamen IS-Attentate für nachvollziehbar halte und sie auf keinen Fall verurteilen würde.
Wie beurteilen Sie den Umgang mit Pogida in der Stadt Potsdam?
Ich habe den Eindruck, dass das hier eine sehr kleine Bewegung ist. Der Oberbürgermeister hat sich klar positioniert, als die Demos stattgefunden haben. Potsdam ist sozialistisch und entschieden dagegen. Mich hat geärgert, dass für 250 Demonstranten 1000 Polizisten mobilisiert wurden – unverhältnismäßig viele, was enorme Kosten verursacht hat.
Wie nehmen die Flüchtlinge, mit denen Sie zu tun haben, diese Bewegung wahr?
Unterschiedlich. Viele machen sich darüber keine Gedanken, weil sie viel um die Ohren haben. Bei manchen Menschen, mit denen sie täglich zu tun haben, etwa bei den Behörden, nehmen sie Ausländerfeindlichkeit wahr. Durch die vielen Helfer oder Sozialarbeiter haben sie eher ein positives Bild von Deutschland. Es gibt aber andere, die den Blick nach außen wenden und sich informieren. Sie nehmen wahr, wie die Stimmung kippt, gerade nach den Vorkommnissen in Sachsen, wo Polizisten Flüchtlinge aus einem Bus gezerrt haben. Das gibt ihnen zu denken. Aber sie haben keine Wahl und verdrängen das.
Das Interview führte Isabel Fannrich-Lautenschläger
ZUR PERSON: Ahmed Al-hafedh, 40 Jahre, ist im Irak geboren, in der Schweiz und Österreich aufgewachsen. Sein Studium absolvierte er in Wien, später in Iowa, USA, und in Beirut, Libanon. In den USA arbeitete er als Forschungsassistent bei Studien über die Wirkung von Meditation auf das Gehirn. Im Zuge seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich anhand einer psychosozialen Studie mit dem Einfluss der amerikanischen Besatzung auf die Haltung der Iraker. Nach der Fachausbildung und Approbation als Psychologischer Psychotherapeut in Deutschland gründete er eine Praxis für Psychotherapie in Potsdam.
Isabel Fannrich-Lautenschläger
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