
© Andreas Klaer
ZUR PERSON: „Ich bin auch hasserfüllten Leuten begegnet“
Stadtjugendring-Chef Dirk Harder über den 20. Geburtstag des Verbands, seinen geplanten Ausstieg und Jugendpolitik in Potsdam
Stand:
Der Stadtjugendring feiert an diesem Freitag mit einer Party im Waschhaus seinen 20. Geburtstag – ist das für Potsdams Jugend wirklich ein Anlass zur Freude?
Ja. Denn was unser Verband erstreitet, soll ja Jugendliche erreichen und dazu die Leute, die mit Jugendlichen zusammenarbeiten. Von unserem Engagement haben schon viele profitiert.
Zum Beispiel?
Wenn Potsdamer Jugendliche täglich die Aktionsfläche am Bassinplatz zum Skaten nutzen oder sich Sprayer dort treffen, dann fragt niemand, wer diese Anlage eigentlich betreibt und in Schuss hält – das kommt dann eben von uns.
Anfangs hat es viel Kritik an der Aktionsfläche gegeben, weil sie trotz hoher Kosten nicht genutzt würde ?
Das halte ich bis heute für eine Unterstellung. Sobald das Wetter gut ist und die Jugendlichen nicht in der Schule sind, wird der Platz jeden Tag genutzt. Das bestätigen gerne einige „genervte“, aber auch wohlmeinende Anwohner. Außerdem hat die Fläche „nur“ 100 000 Euro gekostet. Dazu sind die jährlichen Unterhaltungskosten minimal, da die Fläche aus Beton besteht. Bei einer angenommenen Laufzeit von 20 Jahren ist so ein sehr preisgünstiges Freizeitangebot im Herzen der Stadt entstanden.
Nochmal zurück zum Anfang: Wenn Jugendliche die Aktionsfläche nutzen, wissen sie nicht, wer dahinter steht. Was genau ist denn der Stadtjugendring?
Der SJR, so die Kurzform, ist ein Zusammenschluss von 22 Jugendorganisationen in Potsdam, also ihr Dachverband. Dazu gehören zum Beispiel die Naturschutz- und die Gewerkschaftsjugend, aber auch der Lindenpark oder der Jugendklub vom Hans Otto Theater. Als parteipolitisch unabhängiger Verein setzen wir uns dabei für die Interessen von Kindern und Jugendlichen in Potsdam ein, stehen ihnen mit Ratschlägen zur Seite und helfen, wenn es um die Verwirklichung von Jugendprojekten geht.
In Potsdam ist in diesen Tagen viel von „Freiräumen“ und Jugendlichen die Rede, die möglichst selbst bestimmen wollen, statt Dinge von Erwachsenen vorgesetzt zu erhalten. Ist so ein Verein wie der SJR überhaupt noch zeitgemäß?
Ja, unbedingt. Wir haben uns schon lange darauf eingestellt, dass die Bedürfnisse von Jugendlichen heute anders sind. So können von unseren Angeboten auch alle profitieren, die bei keiner unserer Partnerorganisationen Mitglied sind. Wir unterstützen fast jede Initiative, die den Weg zu uns findet
außer?
Radikale Jugendgruppen erhalten von uns keine Hilfe. Und auch parteipolitische Jugendinitiativen versuchen wir nur beratend zu unterstützen, weil hinter deren Engagement immer auch eine Mutterpartei steckt – wir aber sind parteipolitisch unabhängig.
Wer den Stadtjugendring in der Öffentlichkeit wahrnimmt, sieht bei Festen oft nur eine Hüpfburg mit eurem Logo. Dazu kommt eine Internetseite, auf der aktuell selbst eure Geburtstagsparty im Waschhaus nur sehr versteckt angekündigt ist Ist das ein befriedigender Zustand?
In der Tat wird die Kommunikation nach außen seit Jahren bei uns etwas stiefmütterlich behandelt. Das liegt aber an der schwierigen Personalsituation mit anderthalb Personalstellen nur für den Verein. Auch unser früheres Jugendinformationsportal madstop.de ist so ein wunder Punkt. Doch die Pflege solcher Internetseiten ist auch sehr aufwendig. Mit der Stadt ist aber vereinbart, das Thema Jugendinformation in den nächsten Monaten als Schwerpunkt zu behandeln.
Und hat der SJR tatsächlich nur eine Hüpfburg zu bieten?
Das täuscht – wir bieten viel mehr als nur diese Burg. Bei fast jedem kleinerem Stadtteil- oder Familienfest sind inzwischen Materialien vom Stadtjugendring am Start. So können wir eine kleine Musikanlage, einen Stromgenerator, Autoanhänger, aber auch Warmhaltebehälter, Gläser, Becher oder anderen Krimskrams verleihen. Pro Jahr haben wir so hunderte von preisgünstigen oder sogar kostenfreien Vermietungen für soziale Zwecke. Außerdem beraten wir die Organisatoren von solchen Veranstaltungen oft im Hintergrund oder können Räume anbieten.
Neben diesen alltäglichen Geschichten: Was sind nach 20 Jahren Stadtjugendring die Erfolge, die jetzt noch spürbar sind?
Dazu gehört ganz klar das Haus der Jugend samt der Jugendherberge in der Schulstraße 9. Das war bis 2004 ein Kampf über zehn Jahre. Dazu kommt auch die Einrichtung des Kinder- und Jugendbüros und dessen Finanzierung, weil so sichergestellt wird, dass sich Kinder und Jugendliche stärker bei der Gestaltung der Stadt einbringen können. Nicht zuletzt gehört auch die Aktionsfläche am Bassinplatz zu den Erfolgen.
Bei Fragen zum Stadtjugendring muss es immer auch um das neue „Freiland“-Zentrum gehen, für das Sie sich auch persönlich sehr eingesetzt haben. Dort sind sie nun Mit-Gesellschafter. Ist diese Doppelbelastung dauerhaft machbar?
Ja. Das ist für mich ähnlich der Situation, als ich den Lindenpark während seiner Krise ehrenamtlich geleitet habe. Das ist zwar eine hohe Beanspruchung, aber „Freiland“ ist für mich auch so ein wichtiges Thema, dass ich das in Kauf nehme – und irgendwann hat diese Doppelbelastung ja auch ein Ende, weil ich wahrscheinlich noch in diesem Jahr beim SJR zugunsten von „Freiland“ aufhöre.
Ihr ladet am Freitag nun zum „Dorfschubs in Potsdorf“ zu eurem Geburtstag. Warum feiert ihr gerade so?
Andere Jugendvereine führen zu ihrem Bestehen eine Fachtagung durch – wir wollten einfach eine Feier für verschiedene Generationen. Da ist ein Dorffest ideal, samt Maibaum und Stroh in einer großen Halle. Es soll gegessen, getrunken und bei Livemusik getanzt werden – und es gibt viele Anekdoten aus den vergangenen 20 Jahren zu erzählen.
Es gab in den 20 Jahren aber bestimmt nicht nur vergnügliche Momente.
Natürlich. Gerade im Jugendbereich bin ich wirklich auch hasserfüllten Leuten begegnet, etwa als es vor Jahren um Proteste gegen einen neuen Abenteuerspielplatz in Babelsberg ging. Das ist wie jetzt auch bei der Diskussion um das Tierheim mit angekoppeltem Jugendprojekt: Die Leute sagen, das ist eigentlich wichtig, aber bitte nicht bei uns vor der Haustür. Gerne erinnere ich mich als Gegenteil an den Chef der katholischen St. Peter und Paul-Kirche, Probst Klaus-Günter Müller. Als um die Aktionsfläche am Bassinplatz noch diskutiert wurde, hat er einfach gesagt: „Meine Kirche gehört ins Herz der Stadt und dort gehören auch Jugendliche hin.“
Was würden Sie in Potsdam gern noch verändern ?
Was mich oft nervt ist die Verbissenheit, mit der Konservative versuchen, andere Alternativen, also Alternativen zu Kommerz und Mainstream, zu verdrängen. Warum, so frage ich mich, soll in Potsdam kein „Nebeneinander“ möglich sein von historischen Altbauten und alternativen Jugendkulturorten? Solche Freiräume zu finden bleibt ein Schwerpunkt der Arbeit. Dazu muss die Mitbestimmung von Jugendlichen bei der Stadtentwicklung ausgebaut werden.
Eine letzte, etwas respektlose Frage: Gibt es eigentlich eine Altersgrenze für Jobs im Bereich der Jugendarbeit?
Unsinn. Ich kenne über 50 Geschäftsführer von Stadtjugendringen in Deutschland und gehöre ganz klar zu den Jüngsten. Als Geschäftsführer der Volkssolidarität muss ich doch auch keine Rente erhalten. Das wichtige an meiner Arbeit ist doch gerade die Dolmetscherrolle zwischen Jung und Alt – und dafür muss ich nun wahrlich keine 20 Jahre alt sein. Die Hauptsache ist, dass ich den Jugendlichen zuhöre – und eventuell Politik und Verwaltung auch dazu bringe zuzuhören.
Das Interview führte Henri Kramer
Dirk Harder, geboren 1967 in Potsdam, lernte nach seinem Abschluss der 10. Klasse zunächst den Beruf des Steinmetz. Doch wirklich ausgeübt hat er diese Tätigkeit nie: Seit nunmehr 25 Jahren ist er in verschiedenen Bereichen der Jugendhilfe tätig. Schon zu DDR-Zeiten war er in Potsdamer Jugendklubs angestellt.
Den Stadtjugendring leitet Harder seit 2001.
Dirk Harder hat einen 17 Jahre alten Sohn und lebt in Babelsberg. Besondere Lieblingsmusik hat er keine – „aber im zunehmenden Alter höre ich sehr gerne solche Sache wie Eric Clapton oder Johnny Cash.“ Und auch Die Ärzte „gehen immer noch.“
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