Landeshauptstadt: Ich bin der Schönste
Senioren-Models auf dem Weg zum Laufsteg: Das Sich-Zeigen verändert sichtbar
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Senioren-Models auf dem Weg zum Laufsteg: Das Sich-Zeigen verändert sichtbar Von Yvonne Zitzmann Ursula Schwarz-Stiebitz trägt seit kurzem einen neuen Haarschnitt. Ihr Mann Harry weiß von sich, dass er der Schönste ist. Uroma Rosemarie Böttrich hat plötzlich weniger Scheu sich zu präsentieren und die Verwandten sagen von ihr, dass sie neuerdings „so anders“ wäre. „Die Nebenwirkungen sind nicht zu unterschätzen“, freut sich Karin Pinéra-Bustamante. Die gelernte Architektin leitet seit Juli im Bürgerhaus Schlaatz einen Model-Kurs für „lustige, flotte Alte zwischen 50 und 90 Jahren“. Jeden Dienstagabend treffen sich die „Las Estrellas“, die Sterne. Rockmusik röhrt aus dem Recorder, die Jalousien sind geöffnet und das Lachen ist schon vom Gang aus zu hören. Eine Kleiderordnung existiert nicht und auch die Fußbekleidung reicht von natürlich barfuß über bequeme Turnschuhe bis hin zu eleganten Absätzen – ganz nach Belieben. Auffallen tut nur einer: Harry Stiebitz. Das liegt nicht an seiner blauen Trainingshose mit den roten Hosenträgern, nein, Harry Stiebitz ist der einzige Mann bei den „Las Estrellas“. Und er genießt es. Kommentarlos folgt er den Anweisungen Karin Pinéra-Bustamantes, übt ganze und halbe Drehungen und posiert mehr oder weniger graziös. Und das alles, obwohl er sich zuvor nie für Mode interessiert hat. Heute sagt der 67-Jährige, der mit seiner Gattin extra aus dem 30 Kilometer entfernten Borkheide anreist, mit geschwellter Brust „Ich bin der Schönste!“ und fast möchte man es ihm glauben. Dabei seien manche Übungen mehr für Frauen geeignet, aber er gebe sich eben Mühe, so gut es ginge. „Das erste Mal wurde ich zunächst angeschaut und begutachtet.“ Und: „Sie fanden mich wohl ganz passabel.“ Für den Rentner gibt es jedoch eine Grenze. „Nacktaufnahmen lehne ich ab. Das möchte ich niemandem mehr zumuten.“ Dass seine Frau Ursula Schwarz-Stiebitz mit ihren 154 Zentimetern Körpergröße gute 20 Zentimeter zu klein für den Laufsteg ist, spielt keine Rolle. „Die Models müssen eine normale Figur haben, nicht zu kräftig“, erklärt Karin Pinéra-Bustamante das einzige Aufnahmekriterium. Die Idee, in Potsdam die Seniorenmodels zu gründen, kam ihr bei einer Fernsehreportage über Dessous für Frauen ab Mitte 80. Schon lange ärgerte es sie, dass Mode und Kosmetik fast ausschließlich von jungen Frau gezeigt werde und sie glaubt: „Boutiquen können den Umsatz steigern, wenn Mode für reife Frauen auch reife Frauen präsentieren." Zehn Jahre lang besaß Karin Pinéra-Bustamante in Berlin ein Studio für orientalischen Tanz und schöpft aus diesem Repertoire. Denn: „Die Models sollen auch tanzen können.“ Dies ist aber gar nicht so einfach, verfügen doch einige Kursteilnehmer über keinerlei Erfahrungen auf diesem Gebiet. Insgesamt besteht das Model-Training aus Gymnastik, Lauf-und Drehübungen, Entspannungsmeditation und kleinen Choreografien, Kritik inbegriffen. „Es kann ein Jahr dauern, bis auch der letzte zum Auftritt gelangt“, so die Trainerin. Kursgebühren verlangt Karin Pinéra-Bustamante keine. Vorerst. Sie hofft jedoch darauf, dass Einkaufscenter und Modeboutiquen Interesse an ihren Seniorenmodels zeigen. Die Gage für den Auftritt soll geteilt werden. „Ich kann heute nicht richtig mitmachen, ich war gestern sehr lange in Hannover“, murmelt Rosemarie Böttrich in eine Musikpause hinein. Aber Karin Pinéra-Bustamante duldet keine Ausreden. „Was glauben Sie denn? Model sein heißt arbeiten!“ Und die Rentnerin, mit ihren 73 Jahren die Älteste im Raum, fügt sich wieder in den Laufkreis der anderen ein. Dabei plagten Rosemarie Böttrich erst Zweifel, ob sie als Uroma überhaupt geeignet sei. „Das können meine drei Enkeltöchter viel besser. Die sind Mitte 20.“ Inzwischen weiß Rosemarie Böttrich es besser und seitdem sie Seniorenmodel ist, hat sich in ihrem Leben einiges verändert: „Ich fühle mich jünger, bin lebensfroher und meine Oberarme und die Gesichtshaut sind nicht mehr so schlaff.“ Und sie fügt beinahe entschuldigend hinzu: „Aber den Topmodels wollen wir keine Konkurrenz machen.“ Dabei besitzen die Potsdamer Seniorenmodels wie alle Profimannequins eine richtige Set-Card mit Porträt-und Ganzkörperaufnahmen sowie Angaben zu Größe, Typ und Alter. Das Fotoshooting dazu fand im Sommer in historischer Kulisse im Park Sanssouci statt. Karin Pinéra-Bustamante erinnerte sich daran, wie eine Kursteilnehmerin vor lauter Begeisterung plötzlich ihre Bluse auszog und in aller Öffentlichkeit die Kleidung wechselte. Auch der erste öffentliche Auftritt steht bereits fest: Anfang November schwingen zwei Rentnerinnen für eine Boutique in Kleinmachnow die Hüften.
Yvonne Zitzmann
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