Landeshauptstadt: „Ich bin kellnern gegangen“
Hella Dittfeld war Journalistin bei „Der Morgen“ und schmiss wegen der Einschränkungen hin. Zur Wendezeit schrieb sie wieder und wechselte im April 1990 zur BNN. Bis heute schreibt sie regelmäßig in den PNN und hat ihre eigene Kolumne „Etwas Hella“
Stand:
Frau Dittfeld, twittern Sie?
Eher nicht.
Sie wissen, was das ist?
Ja, aber ich mache es nicht. Für uns ältere Journalisten waren die letzten Jahre auch so eine technische Herausforderung. Denn ich habe noch in den Zeiten gelebt und gearbeitet, in denen wir unsere Artikel in die Schreibmaschine getippt haben. Später dann liefen bei den Schreibmaschinen der Sekretärinnen schon Lochstreifen mit und die konnte man in die Setzmaschinen eingeben. Und dann kam über Nacht die Technik über uns, mit allem Drum und Dran. Computer, Online, Fax. Wir mussten uns innerhalb einer Woche auf das neue System umstellen. Das war nicht einfach.
Sie waren bei „Der Morgen“. Wie haben Sie vor 1989 gearbeitet?
Ich habe anfangs meine Artikel mit der normalen Post in die Hauptredaktion nach Berlin geschickt, die war damals drei Tage unterwegs. Irgendwann haben mir dann Kollegen der BNN erzählt, so müsste ich das nicht machen. Ich könnte auch einen Bahnhofsbrief in braunen Kuvert schicken. Die mussten am Abend bis 18 Uhr in der Hauptpost abgegeben werden und waren am nächsten Morgen in Berlin. Das war die schnellste Möglichkeit Artikel zur Hauptredaktion zu schicken.
Um was ging es in Artikeln, die drei Tage unterwegs waren?
Ich habe immer einen flotten Spruch gesagt. Alles was nach 17 Uhr stattfindet, ist nicht gewesen. Es waren Gespräche, Interviews, vor allem mit Parteifreunden. Da kam es nicht unbedingt auf den Tag an. Bei Pressekonferenzen waren wir als Blockzeitung immer einen bis zwei Tage später als die SED-Zeitungen, zumal wir noch außerhalb des Ortes gedruckt haben. Dann hieß es immer, das habe ich schon in der MV oder dem ND gelesen.
Konnten Sie schreiben, was Sie wollten?
Wenn du geschrieben hast, was du wolltest und es war falsch, dann hast du das nur einmal in deinem Leben gemacht. Das zweite Mal hast du dich entweder angepasst oder du hast keine Artikel mehr geschrieben. Die Artikel sind grundsätzlich in der Hauptredaktion in Berlin gegengelesen worden. Dann wurde etwas rausgenommen, wenn es nicht passte. Aber es gibt diesen berühmten kleinen Mann im Ohr, den man hatte. Man wusste, was man nicht schreiben durfte. Und wenn man mal hart an die Grenze geraten ist, dann gab es Ärger.
Was konnten Sie nicht schreiben?
Da wurden die neuen Tatrabahnen in Potsdam angeschafft. Und alles was neu war, war grundsätzlich besser. Es hieß also, was haben wir nun für schöne neue Straßenbahnen und die sind doch viel leiser und toller. Da habe ich in meinen Bart gebrummelt, na ich finde die aber ganz schön laut. Da wurde ich ermahnt, doch bitte nicht solche Äußerungen zu machen. Das hat mich mächtig geärgert.
Wie geht man damit um?
In solchen Fällen hast du am besten nichts mehr gesagt. Ich hätte mir beispielsweise jemanden nehmen und mit ihm Bahn fahren können, um es ihm zu zeigen. Aber so etwas hätte disziplinarische Sanktionen nach sich gezogen.
Welche Rolle hat die Staatssicherheit bei der Zeitung gespielt?
An mich ist die Staatssicherheit ziemlich spät, Ende der 70er Jahre, herangetreten. Sie kamen und erzählten, Journalisten würden gerne von westlichen Geheimdiensten angeworben. Also sollte ich lieber mit ihnen zusammenarbeiten. Ich habe gesagt, ich werde mich von keinem westlichen Geheimdienst anwerben lassen und ich weiß auch nicht, was ich ihnen erzählen soll. Ich habe mich aber weiter mit denen unterhalten, um sie nicht zu brüskieren. Den Schneid hatte ich ehrlich gesagt auch nicht. Inzwischen hatten mir schon andere gesagt, die ich um Rat gefragt hatte: Wenn du nicht mit denen zusammenarbeiten willst, musst du überall erzählen, dass dich die Stasi anwerben will. Das mögen sie nicht, genau das habe ich gemacht. Dann haben sie von mir abgelassen. In meiner Stasiakte stand dann. Die D. sagt, sie will nicht mit uns zusammenarbeiten.
Offenbarte die Akte Überraschungen?
Die Akte war eine ganz große Überraschung. Sie muss gesäubert worden sein. Ich habe fast keine Akte mehr gehabt. Das kann nicht sein, weil alle Namen von Freunden und Bekannten überhaupt nicht auftauchten. Nicht mal der Name eines Bekannten, der wegen Republikflucht gesessen hat. Ehrlich gesagt habe ich davor Angst gehabt, wenn ein Freund in der Akte als IM gestanden hätte.
Wusste man bei der Arbeit, wer bei Horch und Guck ist?
Es gab Leute, bei denen man es vermutet hat und die einem ohnehin unsympathisch waren. Wir hatten einen Kollegen, der war bei der Partei immer mit der Fahne vorn. Der hat für die Stasi gearbeitet, wie sich herausgestellt hat. Das war für mich überhaupt keine Überraschung.
Warum sind Sie 1990 beim Morgen ausgestiegen?
Ich habe schon vorher aufgehört. Ich habe immer gesagt, wenn ich mir das irgendwie leisten kann, dann steige ich aus der Zeitungsarbeit aus. Ich hatte zwei Kinder, war geschieden, musste also Geld verdienen. Aber drei Jahre vor der Wende habe ich aufgehört und bin kellnern gegangen.
Warum?
Ich konnte meine eigenen Artikel nicht mehr lesen. Es wurde immer wieder verlangt, dass du den Staat lobst, das sozialistische System, die Parteifreunde. Und wenn ich zu den Firmenchefs gegangen bin und für einen Artikel nachgefragt habe, ob es bei ihnen vorangeht. Dann haben die gesagt: Wollen Sie die offizielle Version hören oder wollen Sie wissen, wie es wirklich steht? Irgendwann hat das keinen Spaß mehr gemacht.
Wann sind Sie zum Journalismus zurück?
In der Vorwendezeit habe ich beim Morgen wieder angefragt und wurde erneut eingestellt. Doch im Grunde habe ich für Zeitungen ohne lokales Standbein keine Zukunft gesehen. Mein Kollege sagte: Uns wird der Springer-Verlag übernehmen, da geht es weiter, wir haben große Chancen. Da habe ich geantwortet: Der wird euch umarmen und dann wird er zudrücken. So war es auch.
Da waren Sie schon bei den BNN?
Richtig. Es war eine wahnsinnig interessante Zeit. Wir haben zehn, zwölf Stunden gearbeitet. Aber das haben wir freiwillig gemacht, weil wir selber so interessiert waren an den Umbrüchen, was passiert hier, wie geht es weiter. Ich kann mich noch an die Diskussion zum Theater, dem Rohbau auf dem Alten Markt erinnern. Die Frage, soll es abgerissen werden oder stehen bleiben, bei solchen Diskussionen wolltest du dabei sein. Da hat der Journalismus endlich wieder Spaß gemacht.
Warum die BNN?
Na, es gab doch nur noch die BNN in Potsdam. Und die Märkische Volksstimme, aber in der Wende zu einer Ex-SED-Zeitung, das wollte ich nun auch nicht.
Es war die Zeit, als die Betriebe abgewickelt worden sind. War es einfach einen Redakteursjob zu finden?
Damals war Herr Jopke Chefredakteur. Er sagte zu mir und meiner Kollegin, die Zeitung ist im Umbruch, wir brauchen Leute. Meldet euch Anfang April, da können wir euch einstellen. Wir haben gekündigt und standen am 1. April 1990 vor der Tür. Da schlug Herr Jopke die Hände überm Kopf zusammen und meinte: Das habe ich gesagt? Na dann bleibt mal da. Er hat uns eingeteilt und nach vier Wochen habe ich einen gültigen Arbeitsvertrag bekommen. Das war eine abenteuerliche Zeit.
Wie hat sich die Zeitung entwickelt?
In den Anfangsjahren war es eine euphorische Entwicklung. Es ging bergauf. Wir haben mehr Seiten gemacht. Anfangs zum Beispiel in der Umlandredaktion zwei Seiten in der Woche, nicht wie jetzt jeden Tag. Dann wurden Autos angeschafft, dann Computer. Wir hatten das Gefühl, die Arbeit ist eine großartige Herausforderung. Und es gab einen unheimlich großen Zusammenhalt unter den Kollegen. Das Betriebsklima ist in den Jahren allerdings eher schlechter geworden. Und dann war irgendwann die Aufbruchstimmung weg. An der Substanz der Einzelnen hat auch gezehrt, dass immer wieder die Ansagen kamen, na wir wissen nicht, wie lange die Zeitung noch existiert. Wir haben mehrfach den Besitzer gewechselt und wir haben das Format gewechselt. Immer damit einher gingen die Ängste, es könnte aufhören.
Jetzt werden 60 Jahre gefeiert.
Und die Zeitung ist jeden Tag erschienen, trotz aller Schwierigkeiten.
Das Gespräch führte Jan Brunzlow
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