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MEINE Woche: Ich bin Prekariat

Wenn in den letzten Jahren immer wieder vom berühmten „Prekariat“ die Rede war, dann fühlte ich mich eigentlich nie angesprochen. Ich war ja Mittelstand.

Stand:

Wenn in den letzten Jahren immer wieder vom berühmten „Prekariat“ die Rede war, dann fühlte ich mich eigentlich nie angesprochen. Ich war ja Mittelstand. In Deutschland sind ja sowieso immer alle Mittelstand (Die Billigversion des amerikanischen Traumes). Mit Abiturnote 1,8 – was sollte mir passieren? Meine Leistung sollte sich ja immerhin wieder lohnen (tut sie auch – nur eben für andere).

Als ich dann aber neulich, nach fast einem Jahr fruchtloser unbezahlter Vorpraktika, „dieses Mal auch bestimmt wirklich mit Ausbildung hinterher“ in der Bank die kümmerlichen Überreste meiner Lebensersparnisse (und meines Selbstwertgefühls) betrachtete, fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren: Ich bin Prekariat. Ich. Nicht meine Nachbarin, nicht der Typ an der Supermarktkasse – sondern ich.

Mein bisheriges, zugegebenermaßen überschaubares Lebenswerk habe ich dafür aufgewendet, mein Essen und meine Wohnung zu finanzieren, während ich kostenlos schuften gehe. Meine Zukunft? Von all denen, die sich mit mir bewerben, werden einige zum Eignungstest eingeladen, davon einige zum Vorstellungsgespräch. Von diesen wiederum einige zum Praktikum, von denen dann einige eine Ausbildung absolvieren dürfen, und von denen dann einige einen (befristeten) Job bekommen. Darauf hätte ich eigentlich auch früher kommen können.

Wenn Sie mich dann jetzt entschuldigen würden, ich wollte heute noch mit ein paar Freunden den Bundestag besetzen

Heinrich Lenz ist 20 Jahre alt und lebt in Potsdam.

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