Landeshauptstadt: Ich bin tot
Als Betroffener kämpft Donald Gärtner gegen Hartz IV. SPD wähle er nicht mehr, eher hacke er sich den Arm ab
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Als Betroffener kämpft Donald Gärtner gegen Hartz IV. SPD wähle er nicht mehr, eher hacke er sich den Arm ab Von Guido Berg Donald Gärtner ist eine Ich-AG. Wer sie braucht, kann sie – also ihn – als Graphologe, Kraftfahrer oder Computer-Kenner anfordern. Doch es gibt keine Aufträge. „Gar nichts kommt da rein.“ Sie haben ihn dazu gedrängt, sicher. Aber es war auch ein Versuch. Wie es aussieht, führt er in die Enttäuschung. Und in die Geldnot. 600 Euro bekommt er monatlich als Startgeld, davon muss er Renten- und Krankenversicherung erbringen. Bleiben 200 Euro übrig für den Monat. Mit dem Arbeitslosengeld II hätte er den Hartz-IV-Regelungen zufolge 311 Euro im Monat. Gärtner wird scharf kalkulieren, ob er seine „Aktiengesellschaft“ im nächsten Jahr weiterführt. 90 Prozent der Ich-AGs, glaubt er, gehen wieder ein. Viele seien nur zur Verbesserung der Arbeitsmarktstatistiken gegründet worden. Gärtners Frau geht einer geringfügigen Beschäftigung nach und ist auch auf Arbeitslosengeld angewiesen. Das wenige Geld, das sie nebenher verdient, und der geringe Ertrag der Ich-AG werden sofort vom Arbeitsamt wieder abkassiert. Weil sie „verschwieg“, dass er eine Ich-AG ist, müssten sie nun sogar 4000 Euro zurück zahlen. Wovon, weiß Gärtner nicht. Zusammen haben sie fünf Kinder, die beiden jüngsten leben noch im Haushalt. Geld aber benötigen sie alle. Die beiden Ältesten studieren, die mittlere Tochter geht auf die Ballettschule. „Ob wir den Kleinen noch die selbe gute Förderung angedeihen lassen können, wie sie die Großen hatten?“ Gärtner ist vom Typ her ausgeglichen, er wirkt jünger. Dass er in einem Job seinen Mann stehen könnte, daran ist nicht zu zweifeln. Doch es gibt keine Jobs. Früher, ja da hatte er Chancen auf dem Arbeitsmarkt, aber nun, mit 53 Jahren „Ich bin tot“, so sein Kommentar bezüglich seines Berufslebens. Bei der Bundestagswahl wird er die Partei wählen, sagt er, die ihn in seinem Kampf gegen HartzIV am meisten unterstützt. Früher, das war, als der „Westgermane“ Polizist war in Westberlin. Doch noch vor der Verbeamtung hängte er die Uniform an den Nagel. Heute fragt er sich oft, ob diese Entscheidung richtig war. Beamter, dieses Wort hat Klang für einen, der 200 Euro zum Leben hat. „Ich bin Freidenker“, die Frage sei nicht, warum er weggegangen sei, sondern warum er überhaupt erst hin wollte zur Polizei. Er war einfach jung, hatte keine klare Vorstellungen von dem Beruf. Nein, sagt er, eigentlich war es richtig, etwas anderes zu suchen. Obwohl, versichert er, der Polizeipräsident ein „solider rechtschaffener Arbeitgeber“ war – im Vergleich zu den anderen, die er in seinem Berufsleben noch kennen lernen sollte. Auf privaten Kursen qualifiziert Gärtner sich zum Graphologen, zum Schriftpsychologen. Es wird seine Leidenschaft. Er arbeitet freischaffend und schreibt ein Buch „Die Handschrift als Spiegel der Seele“, ein Grundriss der Graphologie. Wenn einer intelligent ist, muss er nicht unbedingt eine intelligente Handschrift haben. Hat einer aber bestimmte „Intelligenzzeichen“ in seiner Schrift, dann ist er mit Sicherheit auch intelligent, verrät Gärtner. Einstein habe eine liebenswürdige Handschrift gehabt, aber ohne besondere Intelligenzzeichen. Beethovens Handschrift habe ausgesehen, „als ob einer aufs Papier gebrochen hat“, aber graphologisch sei sie „ein Hochgenuss“. Goethes Schrift sei beides gewesen, schön und hochintelligent. Leider habe sein Buch nicht den Erfolg gebracht. „Ich habe eben Pech auf der ganzen Linie“, sagt er einmal. Dabei hält er es mit Franz Josef Strauß, mit dem er sonst wenig am Hut hat, aber der einmal sagte, „vieles ist Schicksal, aber ein Wörtchen kann man mitreden“. Wenn Gärtner, der zu den Mitbegründern des Potsdamer Aktionsbündnisses gegen Hartz IV gehört, bei einer Montagsdemonstration auch mal das Mikrofon ergreift, dann sagt er mehr als nur ein Wörtchen, dann sprudelt es nur so aus ihm heraus. Am meisten regt ihn auf, wenn die Ärmsten der Armen noch als Sozialschmarotzer und Parasiten verunglimpft werden. „Ihren Platz in der Gesellschaft“, versichert er, „suchen sie alle.“ Jeder sehne sich nach dem Gefühl, gebraucht zu werden. Und wem der große Wurf nicht gelingt, der sollte nicht auch noch vorgeführt werden. Er, der sich als „eher unpolitisch“ bezeichnet und nie Mitglied in einer Partei war, wird am 18. September mit seiner Stimme wieder versuchen, ein Wörtchen mitzureden. Gärtner wählt eine klare Sprache: „Ich bin eigentlich SPD-Wähler. Aber dieses Mal würde ich mir eher die Hand abhacken. Nicht diese SPD.“ Schließlich gehöre er nicht zur neuen Mitte. Mit ,Wir sind die neue Mitte“ war die SPD 1998 angetreten. Es habe sicher etwas geschehen müssen. Doch nie hätte er gedacht, dass ein SPD-Kanzler die Arbeitsmarktreform härter angehen werde als einer von der CDU. Wenn Angela Merkel an die Macht kommt, wird sie die Arbeit machen, die schon Helmut Kohl hätte machen müssen. Zur Die Linke.PDS sagt er, dass er sie nicht liebe. Das seien die „Mauerbauer“, als Westberliner habe er Nachteile gehabt. Aber freilich habe sich diese Partei sehr verändert, insbesondere durch das Zusammengehen mit der Wahlalternative für Soziale Gerechtigkeit (WASG). „Es ist nicht mehr die SED.“ Sehr missfällt ihm, dass die PDS Konzessionen macht. Mehrmals hätten sie sich verleugnet, um auf Landesebene an der Macht zu bleiben. „Sie sind zwar gegen Hartz IV, aber sie sagen nicht eindeutig, Hartz IV muss weg.“ Zugute hält er, dass die PDS das Aktionsbündnis gegen HartzIV „hervorragend unterstützt hat“.
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