Aus dem GERICHTSSAAL: „Ich habe den Mann einfach nicht gesehen!“ Gericht: Unfallopfer trägt
erhebliche Mitschuld
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Der Verteidiger will einen Freispruch, der Oberstaatsanwalt – wenn schon kein Urteil – zumindest eine Geldbuße. Die Jugendrichterin stellt das Verfahren gegen Katharina K.* (21) allerdings wegen geringer Schuld ein. Schließlich trage das Unfallopfer eine ganz erhebliche Mitschuld an dem tragischen Geschehen.
Rückblende: Es ist der 30. April 2006, eine Stunde vor Mitternacht. Katharina K. kommt von einem Bekannten aus der Waldstadt, befährt mit ihrem Twingo den Horstweg in der rechten Spur. Völlig unerklärlich für die Bürokauffrau taucht plötzlich ein Mann vor der Windschutzscheibe ihres Wagens auf. Katharina K. bremst, weicht aus. Trotzdem erwischt sie den aus ihrer Sicht dunkel Gekleideten. Der fliegt über das kleine Auto, bleibt schwer verletzt auf der Straße liegen. Die Twingo-Fahrerin erleidet einen Schock. Ein Potsdamer, der dem Fußgänger Erste Hilfe leistet, spürt intensiven Alkoholgeruch. Die dem Verunglückten eineinhalb Stunden später entnommene Blutprobe weist immerhin noch einen Wert von 1,76 Promille auf. Der Schaden am Twingo beträgt 6000 Euro. In der Anklageschrift ist von Verletzung der Sorgfaltspflicht sowie von fahrlässiger Körperverletzung die Rede. Diese Vorwürfe treffen Katharina K. tief. Seit Sommer 2003 besitzt sie die Fahrerlaubnis, hält sich laut eigener Aussage stets an die Vorschriften. „Ich habe den Mann einfach nicht gesehen. Ich weiß nicht einmal mehr, ob er von links oder von rechts kam“, berichtet sie unter Tränen.
Er sei an jenem Abend bei der Grillparty eines Kumpels gewesen, erzählt Dieter D.* (49). Nach diversen Flaschen Hasseröder und mehreren „Jägermeistern“ habe er sich gegen 22.30 Uhr auf den Heimweg zum Schlaatz gemacht. „Ich fühlte mich leicht beschwipst“, so der Umschüler. An den Unfall selbst und die nächsten Tage fehle ihm jegliche Erinnerung. Fünf Wochen habe er wegen eines offenen Unterschenkelbruchs im Bergmann-Klinikum gelegen, noch einmal ebenso lange in einer Reha-Einrichtung verbracht. Bis zum 30. Oktober sei er krank geschrieben gewesen. Eigentlich wolle er nicht, dass Katharina K. bestraft wird. „Ich hätte mit der Straßenbahn fahren sollen. Dann wäre das nicht passiert“, resümiert Dieter D.
Das spätere Opfer sei „in sich versunken“ schräg über den Horstweg gelaufen, erinnert sich ein 36-jähriger Augenzeuge vor Gericht. „Es war grau gekleidet, eine graue Maus auf einer grauen Straße. Ich musste das Gas wegnehmen, damit der Mann die Fahrbahn passieren konnte. Als ich an ihm vorbei war, hörte ich hinter mir einen dumpfen Knall.“ Das war der Zusammenprall mit dem aus der Gegenrichtung kommenden Twingo der Angeklagten. (*Namen von der Redaktion geändert.) Hoga
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