Aus dem GERICHTSSAAL: „Ich habe die Prügel nicht gesehen!“ Unterlassene Hilfe? Verfahren eingestellt
Die Anklage lautete auf unterlassene Hilfeleistung: Die Staatsanwaltschaft warf Mareike M.* (38) vor, am Nachmittag des 12.
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Die Anklage lautete auf unterlassene Hilfeleistung: Die Staatsanwaltschaft warf Mareike M.* (38) vor, am Nachmittag des 12. April vorigen Jahres nicht eingegriffen zu haben, als ihr Ex-Lebensgefährte seinen 13-jährigen Sohn Lukas* mehrere Minuten lang mit der flachen Hand und mit Fäusten geschlagen haben soll. Das Kind soll dabei zahlreiche Hämatome und Hautabschürfungen im Gesicht und am Körper erlitten haben. Laut Anklage wäre es Mareike M. ohne Weiteres möglich gewesen, die für den Jungen gefährliche Situation zu beenden.
Die Friseurin bestritt den Vorwurf. Gegen einen Strafbefehl über 30 Tagessätze zu je 50 Euro – insgesamt 1500 Euro – legte sie Einspruch ein. So kam es am Dienstag zur mündlichen Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht. Die dauerte nicht lange, da der inzwischen 14-jährige Lukas nicht erschienen war. Mit Zustimmung aller Prozessbeteiligten stellte Richterin Doris Grützmann das Verfahren auf Kosten der Landeskasse ein.
Weinend beteuerte die Angeklagte, sie habe nicht gesehen, wie ihr früherer Partner, ein Rechtsanwalt, seinen Sohn nach einem Streit um ein zu spätes Nachhausekommen verprügelte. „Ich war in der Küche und hörte, dass es auf dem Flur laut wurde. Da bin ich durch die Terrassentür nach draußen und habe eine Zigarette geraucht. Dann bin ich mit dem Hund Gassi gegangen. Als ich zurückkam, hatte sich die Situation beruhigt.“ Ihr damaliger Lebensgefährte habe sich tausendmal bei Lukas entschuldigt, erinnerte sich Mareike M. Bis dahin sei er niemals handgreiflich geworden.
„Ich kann verstehen, dass sich Lukas von mir verraten gefühlt hat“, schätzte die Friseurin und Mutter einer Tochter ein. „Ich hätte nicht gehen dürfen, als es laut wurde. Aber Brüllen kann wie Schlagen sein. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.“ Zwischen ihrem Ex-Partner und ihr habe es die Absprache gegeben, dass sich jeder um die Erziehung seiner eigenen Kinder kümmerte.
Anfang Februar 2013 habe sie sich nach fünfjähriger Beziehung von dem Mann, der zunehmend dominanter geworden sei, getrennt, erzählte die Angeklagte. Lukas, der vorher zwischen der Wohnung seiner leiblichen Mutter und dem Haus des Vaters pendelte, zog einen Monat später bei ihm ein. Auch gegen den Juristen wurde ermittelt. Im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs schufen Vater und Sohn klare Fronten. Nach wie vor hat der Teenager ein gutes Verhältnis zu Mareike M. Er lud sie auch zu seiner Jugendweihe ein, bei der die leibliche Mutter unerwünscht war.
Für unterlassene Hilfeleistung sieht der Gesetzgeber Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor. Gäbe es einen neuen Verhandlungstermin, bei dem dann unbedingt Lukas gehört werden müsste, wäre die Schuld der Angeklagten dennoch als gering einzuschätzen, befand Richterin Grützmann. Dass der Junge nicht gekommen sei, spräche für sich. (*Namen von der Redaktion geändert.) Hoga
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