Sport: „Ich kann mich am Ende noch extrem quälen“
Der Potsdamer Geher Christopher Linke setzt in London über 50 Kilometer auch auf seine Willensstärke
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Christopher Linke liebt das Tempo. Er mag Abfahrtsläufe auf Skiern, wird hinter einem langsamen Verkehrsteilnehmer schnell mal ungeduldig und würde auch sehr gern Motorrad fahren. „Wenn das nicht so gefährlich wäre, denn ich bin ab und an ein bisschen unkonzentriert“, erzählt der Geher des SC Potsdam, der von seinem Klub am gestrigen Montag offiziell zu den Olympischen Spielen nach London verabschiedet wurde. Dort ist Linke am 4. August für die 20 und am 11. August für die 50 Kilometer gemeldet.
„Da mir die lange Strecke mehr liegt, habe ich auf sie auch mein Hauptaugenmerk gelegt. Die 20 Kilometer dürften mehr als harte Vorbelastung dienen“, sagt Christopher Linke, der im heimischen Luftschiffhafen von Bundescoach Ron Schmidt trainiert wird, mit dem er in den nächsten Tagen nochmal in Kienbaum üben und an sogenannten Teambildungsmaßnahmen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes teilnehmen wird. Und er erklärt auch, warum er sich auf den 50 Kilometern mehr ausrechnet: „Ich bin körperlich ja nur ein Hänfling, und ein Athlet mit viel mehr Muskelmasse wird schneller fest, während ich am Ende noch etwas zusetzen kann.“ Denn obwohl seine Beine sehr dünn wirken, kann sich der 23-Jährige aus Werder (Havel) bis zuletzt quälen. „Ich gehe meist etwas verhaltener los und mach am Ende Druck, denn ich kann die zweite Hälfte des Rennen schneller gehen als die erste – das können nicht viele Geher“, meint er. „ Daher habe ich über 50 Kilometer die Chance, am Ende noch einige Kontrahenten zu überholen.“ Bestes Beispiel dafür war seine Leistung beim diesjährigen Weltcup Mitte Mai im russischen Saransk, als der Potsdamer Geher nach der Hälfte der Strecke mit 1:55:50 Stunden auf Platz 29 lag, um durch sehr starke zweite 25 Kilometer noch auf Rang sechs vorzustoßen und seine persönliche Bestzeit um mehr als fünf Minuten auf 3:47:33 Stunden zu verbessern. „Ich kann mich am Ende noch extrem quälen und habe dann auch den Willen dazu“, sagt Linke. „Wenn ein Gegner vor mir irgendwie zu erkennen gibt, dass ich ihn noch einholen könnte, motiviert mich das zusätzlich, über den Schmerzpunkt zu gehen. Schwäche darf man mir nicht zeigen.“
Bundescoach Weigel hofft auf genau diese Qualitäten seines Schützlings. „Eine Prognose für die 50 Kilometer sind schwer“, meint der 52-Jährige, der einst als Geher selbst drei Olympiamedaillen gewann: 1988 in Seoul jeweils Silber über 20 und über 50, 1992 in Barcelona Bronze über 50 Kilometer. „Wir müssen uns in der noch verbleibenden Vorbereitungszeit noch steigern – und dann appelliere ich auch an sein Kämpferherz, das er in dieser Saison schon mehrmals gezeigt hat.“
Während sich Christopher Linke im Wettkampf an der Konkurrenz steigern kann, ist er im Training „noch nicht immer bereit für wirkliche Härte“, wie es Weigel formuliert und der Geher selbst bestätigt. „Das stimmt. Ich kann mich im Training nicht jeden Tag voll motivieren, vor allem, wenn man im ständigen Regen 25 Kilometer unterwegs ist“, sagt Linke. „Manchmal kann ich den inneren Schweinehund nicht wirklich überwinden. Ich merke aber, dass ich mit meinem Talent allein nicht mehr so viel ausrichten kann, sondern dass harte Arbeit nötig ist.“ Im Training ist er die 50 Kilometer übrigens noch nie gegangen, dafür aber im diesjährigen Trainingslager in Südafrika dreimal 40 und dreimal 30 Kilometer in neun Tagen.
Christopher Linke gilt als großes Talent, war aber nicht von kleinauf Geher. Als Fünfjähriger begann er ebenso wie sein 15 Minuten älterer Bruder Norman bei Grün-Weiß Werder Handball zu spielen. Kein Wunder: Vater Olaf war dort einst selbst aktiv, wirkte dort später als Trainer und ist heute noch im Vorstand aktiv. Da der jüngere der zweieiigen Zwillinge aber auch bei den jährlichen Baumblütenläufen schnell war, lotste ihn seine Sportlehrerin in der 5. Klasse zum Potsdamer Laufclub. „Da habe ich gemerkt, dass ich im Handball zu anspruchsvoll wurde. Ich konnte schlecht verlieren und habe nach Niederlagen die Gründe immer bei meinen Mitspielern gesucht. Beim Laufen konnte ich aber keinem anderen die Schuld geben, wenn es nicht wie gewünscht lief“, erinnert sich Christopher Linke. Zwei Jahre war er parallel Läufer und Handballer, „dann hat mein Vater gefordert, dass ich mich für eine Sportart entscheide – und das war dann die Leichtathletik“, so der drahtige Bursche. 2002 wechselte er zum SC Potsdam, bis 2004 war er Mittelstreckler. „Dann kamen Geher in meine Klasse, vorher hatte ich diese Disziplin nicht wirklich wahrgenommen“, erzählt Linke, der im Winter 2004/05 selbst mit dem Gehen begann.
Was sich als Volltreffer erwies, denn 2005, nach nur sieben Monaten Training, holte er sich bei den Deutschen Meisterschaften der B-Jugend gleich den Titel über 5000 Meter. Zwei Jahre später wurde er Deutscher Jugendmeister über 20 Kilometer und Sechster der Junioren- Europameisterschaften über 10 Kilometer, 2009 Vierter der U23-EM erneut über 20 Kilometer. In diesem Jahr schließlich löste er bei den Deutschen Meisterschaften über diese Distanz mit dem Berliner André Höhne den Seriensieger der vergangenen Jahre ab, der sich ebenfalls über 20 und 50 Kilometer das Ticket nach London erkämpfte. „Das bestätigte meine gute Form, denn André ist ein sehr starker und erfolgreicher Geher. Natürlich hat es meinem Selbstbewusstsein gutgetan, denn einen solchen Mann schlägt man nicht einfach so“, meint Linke, der bei den EM 2010 nach 40 Kilometern wegen Magenbeschwerden aussteigen musste und bei den letztjährigen WM über 20 Kilometer auf Platz 21 ging. Da hatte er die Olympia-Fahrkarte über 50 Kilometer durch seine 3:52:55 Stunden beim Europacup am 21. Mai im portugiesischen Olha schon in der Tasche.
Damit hatte Christopher Linke bereits ein großes persönliches Ziel erreicht, „auf das ich vier Jahre hingearbeitet hatte“, so der Leichtathlet, den eine muskuläre Dysbalance – eine im Vergleich zu den Oberschenkeln zu starke Schienbeinmuskulatur – immer wieder Knieprobleme bereitete. „Jetzt bin ich aber beschwerdefrei“, signalisiert der Sportsoldat, der am liebsten Spaghetti Carbonara isst und später einmal als Trainer arbeiten will, „denn ich liebe den Sport und kann mir nichts Schöneres vorstellen, als dort auch mal beruflich Fuß zu fassen“. In vier Jahren bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro „bin ich 27 und in einem Super-Alter für Geher“, erklärt er. „Da werde ich dann ganz andere Ziele als jetzt in London haben.“ Auf der Strecke nahe des Buckingham Palace will Christopher Linke im August „eine möglichst gute Leistung abliefern“, sagt er selbst. „Ob es schon für eine Top-Zehn-Platzierung reicht, bleibt abzuwarten.“ Wenn er auf dem langen Kanten unterwegs ist, werden ihn nicht nur Mutter Karis und Vater Olaf, sein Zwillingsbruder und Schwester Isabell anfeuern. „Ein ganzer Fanklub von 25 Leuten aus Werder will kommen“, erzählt der Geher, der vor dieser Kulisse natürlich ein ordentliches Tempo erreichen möchte.
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