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Vizepräsidentin FH Potsdam: „Ich möchte keine braven Studierenden“

Andrea Schmidt ist neue Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Fachhochschule Potsdam. Dass sie eine Quotenfrau ist, findet sie aber nicht schlimm.

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Andrea Schmidt weiß, dass sie eine Quotenfrau ist. „Das finde ich völlig in Ordnung“, sagt die 47-Jährige und lächelt. Dann wird sie ernst: „Es steht ja auch eine Qualifikation dahinter.“ Die Professorin für sozialpädagogische Handlungskonzepte an der Fachhochschule Potsdam lehrt seit 2010 in Potsdam und ist neue Vizepräsidentin für Studium und Lehre – mit ihr und der Kanzlerin sind nun zwei Frauen im sechsköpfigen Präsidium.

Schmidts Lebenslauf wirkt beispielhaft: 1986 begann sie ihr Studium der Erziehungswissenschaften an der TU Berlin, 2000 promovierte sie, dann folgte 2005 der Master oft Arts in Personalentwicklung an der TU Kaiserslautern. Nach einem Jahr als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Erziehungswissenschaft an der TU Berlin wurde Schmidt Professorin für Sozialarbeitswissenschaften, Prorektorin („Da war ich auch Quotenfrau“) und Gender-Beauftragte an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld. Also eine, die schon immer wusste, was sie wollte? „Nein, am Anfang hatte ich überhaupt keinen Plan“, sagt Schmidt. Sie ist selbst erstaunt, wie durchdacht sich ihr beruflicher Werdegang heute liest.

Ihr Studienfach wählte sie nach Neigung und weil es keine Zugangsbeschränkung durch einen Numerus clausus hatte. Schmidt hatte in ihrer Heimatstadt Hamburg Wirtschaftsabitur gemacht und wagte mit der Neuorientierung hin zur Erziehungswissenschaft den Sprung ins kalte Wasser. Rückblickend sagt sie: „Oft fühlte ich mich wie ein Korken auf hoher See.“ Der Grund waren Existenzängste und viele befristete Verträge. Erst als für sie das Berufsziel Professorin feststand, bemühte sie sich gezielt um Lehrerfahrung und Zusatzqualifikationen. 2005 machte sie ihren Master in Personalentwicklung, weil sie die Verknüpfung von Ökonomie und Sozialem interessierte.

Ein Thema durchzieht ihre wissenschaftliche Laufbahn wie ein roter Faden: Genderforschung. Gleich im ersten Semester ihres Studiums entschied sie sich für ein Seminar über Tagebücher von Mädchen – bei einer Professorin. „Diese erste Auseinandersetzung mit der unterschiedlichen Sozialisation von Jungen und Mädchen hat mich geprägt“, sagt Schmidt. „Sie brachte mich auch dazu, mich selbst zu überprüfen.“ Ihr bis dahin latentes Interesse für Themen rund um die Frauenbewegung war geweckt. Auch die Uni-Streiks der 1980er-Jahre fand sie „unglaublich spannend“. Dagegen sei universitäres Leben heute sehr ruhig: „Wir haben wenig, was polarisiert.“

Schmidt möchte „Studierende so ins Schwingen zu bringen, dass sie selbst Fragen stellen“. Ihr wichtigstes Anliegen im eigenen Fachbereich formuliert sie so: „Ich möchte Studierenden vermitteln, dass soziale Arbeit eine politische Verantwortung hat.“ Die Frage, wie gute Lehre aussehen kann und sollte, treibt sie schon lange um. Ihr neues Amt sei da eine gute Möglichkeit, Neues anzustoßen. Als Herausforderung betrachtet sie die Spannbreite der Fachhochschule mit ihren vielen Fachbereichen und Studiengängen sowie die Heterogenität der Studierenden – „17-jährige Abiturienten lernen und forschen mit 40-jährigen Berufserfahrenen zusammen“. Vor allem die interdisziplinäre Lehre möchte sie weiter ausbauen. „Wir alle sollten regelmäßig verschiedene Perspektiven einnehmen.“

Wenn sie an ihr eigenes Studium zurückdenkt, fällt ihr ein interdisziplinär orientiertes Projektseminar als besonders positives Beispiel ein. „Die Profs hatten Zeit und haben uns sehr ernst genommen. Das hat mir gefallen.“ Vor den Kopf gestoßen fühlte sich die Studienanfängerin, als ein von ihr geschätzter Professor sie mit dem Satz „Sammle erst einmal Lebens- und Berufserfahrung“ bedachte. „Daraufhin habe ich mir einen Praktikumsplatz im Jugendamt von Berlin-Wilmersdorf gesucht.“ Nach dem Diplom arbeitete sie dort als Sozialarbeiterin in der Jugendförderung.

Die Frage „Ist das prüfungsrelevant?“, die viele Studierende heute gleich zu Beginn einer Lehrveranstaltung stellen, bringt Schmidt nicht aus der Fassung. „Ich könnte jetzt einfach diese Verwertungslogik beklagen, aber wir sollten uns lieber fragen, warum die das fragen.“ Studierende seien häufig sehr jung, stark verunsichert und brauchten Ermutigung zu forschendem Lernen. Das FH-Projekt FL² sei dafür ein Schritt in die richtige Richtung.

Das freie Studieren, das ihr selbst möglich war, würde sie auch gern der jungen Generation ermöglichen. „Ich sehe es als wichtige Aufgabe an, zu prüfen, wie wir innerhalb der heutigen Strukturen Freiräume schaffen können.“ Studierende sollten den Blick über den Tellerrand wagen und Dinge kritisch hinterfragen. „Ich wünsche mir keine braven Studierenden“, betont Schmidt. Ihr Ziel: zufriedene und selbstbewusste Absolventen.

Aktuell ist sie damit beschäftigt, die Arbeit an einer neuen Hochschulrahmenordnung zu koordinieren. „Ein dickes Brett“, wie sie sagt. Ihre Leidenschaft gilt der Weiterbildung. Insbesondere berufsbegleitende Masterstudiengänge schweben ihr da vor.

„Mit den vielen neuen Aufgaben komme ich noch gar nicht richtig zu meinem Forschungssemester“, sagt Schmidt. Auftakt hierzu war eine Tagung Ende vergangenen Jahres. Thema: geschlechtergerechte Planung im Land Brandenburg. „Was kann für junge Frauen in Brandenburg getan werden, um ihre Abwanderung zu stoppen?“, umreißt Schmidt das Thema. Nach Freizeitaktivitäten gefragt, nennt sie Joggen und Gartenarbeit. „Außerdem stricke und häkele ich gern“, sagt sie und lächelt. „Damit passe ich zwar nicht ins Genderfrauenklischee, aber ansonsten bin ich auf dem Gebiet streng.“ Maren Herbst

Maren Herbst

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