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Turbines Geheimwaffe. Jennifer Zietz, heute 27 (oben), 2005 beim UEFA-Cup-Finale im Duell mit Victoria Svensson (r. oben) und gemeinsam mit UEFA-Präsident Michel Platini sowie dem Champions-League-Pokal 2010 in Getafe (r. unten). Links Turbine Potsdam nach dem ersten DFB-Pokalsieg 2004 mit (hinten v. l.) Maria Makowska, Petra Wimbersky, Ariane Hingst, Julie und Nancy Augustyniak, Inken Becher, Navina Omilade, Conny Pohlers und Franziska Nickel sowie (vorn v. l.) Annelie Brendel, Stephanie Ullrich, Jennifer Zietz, Franziska Liepack, Viola Odebrecht, Nadine Angerer, Anja Mittag und Peggy Kuznik.

© Andreas Klaer, Manfred Thomas (3)

Von Michael Meyer: „Ich selbst würde nicht gern gegen mich spielen“

Jennifer Zietz war in den vergangenen zwölf Jahren oft Turbine Potsdams „Geheimwaffe“ / Ihr erstes Tor schoss sie mit links

Stand:

Ihr erster Torschuss bei Turbine Potsdam landete fast in der Havel, ihr bislang letzter Torversuch, ein Kopfball, ging am vergangenen Sonntag nur Zentimeter links neben dem Tor des 1. FC Saarbrücken ins Aus. Zwischen beiden Szenen liegen 13 Jahre, in denen Jennifer Zietz von der B-Jugendlichen zum Mannschaftskapitän des 1. FFC Turbine reifte, mit den Potsdamerinnen dreifache DFB-Pokalsiegerin, vierfache Deutsche Meisterin, UEFA-Womens-Cup-Siegerin und im vergangenen Jahr Champions-League-Gewinnerin.

„Ist schon irgendwie toll, was ich in dieser Zeit mit Turbine alles erlebt habe“, meint Jennifer Zietz. „Damals war noch gar nicht abzusehen, dass ich mal so lange hier bleiben würde.“ Damals, das war im Herbst 1998, als die damals gerade 15-Jährige mit ihren Eltern zum Probetraining in den Potsdamer Luftschiffhafen kam. Bis dato war sie beim PSV Rostock dem runden Leder nachgejagt. „Turbine hatte ich vorher einmal bei uns in Rostock in der damals zweigeteilten Bundesliga gegen den PSV spielen sehen. Damals habe ich aber keinen Gedanken an die Bundesliga verschwendet. Ich wollte einfach nur immer Fußball spielen“, erinnert sich Zietz. „Nach einem Nordostturnier der Länderauswahlmannschaften bekam ich dann eine Einladung zu Turbine. Mein Stiefvater Michael, mit dem ich die Fußball-Leidenschaft teilte, war gleich Feuer und Flamme, während meine Mutter mich erst nicht gehen lassen wollte.“

Dann aber stiegen die Eltern mit ihr ins Auto und düsten nach Potsdam. „Bei meinem ersten Probetraining, das weiß ich noch wie heute, stand das Tor Richtung Ufer, und mein erster Schuss ging weit am Kasten vorbei Richtung Havel. Oh nein, was müssen die jetzt von dir denken, ging es mir anschließend durch den Kopf. Aber dann klappte es besser. Ich wurde angenommen, kam hier ein paar Wochen später in die 9. Klasse und war überrascht, wie gut durchdacht das hier alles mit Sportschule und Verein war und ist.“ Jennifer Zietz hatte zuerst ordentlich Heimweh. „Es war ja eine große Umstellung für mich: Neue Schule, neues Umfeld, neue Leute, und ich war ganz auf mich allein gestellt“, erzählt sie. „Zum Glück waren inzwischen auch Viola Odebrecht und Sandra Stein hier, die ich aus Mecklenburgs Landesauswahl kannte. Und in der Schule habe ich dann auch schnell Anschluss gefunden.“ Sie trainierte gleich in Potsdams erster Mannschft mit und schoss ihr erstes Bundesliga-Tor für Turbine am 5. März 2000. „Ich war damals Stürmerin wie schon zu meinen Rostocker Zeiten, und habe in Saarbrücken nach meiner Einwechslung mit dem linken Fuß zum 1:0-Sieg getroffen.“ Ende Juni steuerte sie auch einen Treffer zum Potsdamer 7:1 gegen den FC Bayern München im ersten Endspiel um den Deutschen Meistertitel der B-Juniorinnen bei.

Nach und nach erarbeitete sich Jennifer Zietz einen Stammplatz im Turbine-Team; an der Seite solcher Fußballerinnen wie Potsdams erster Nationalspielerin Ariane Hingst, wie Conny Pohlers, Aferdita Podvorica, Nadine Angerer, dann Anja Mittag, Petra Wimbersky und Navina Omilade. „Wir haben auch immer außerhalb des Fußballplatzes viel Zeit miteinander verbracht“, erklärt die jetzt27-Jährige. Bei Potsdams erstem ganz großem gesamtdeutschem Triumph, dem DFB-Pokalsieg 2004 im Berliner Olympiastadion, gehörte Zietz beim 3:0 gegen den Seriensieger FFC Frankfurt zu den Torschützinnen. „Eine Woche vorher hatte ich mein Abi bestanden, und da habe ich mir gesagt: Okay, jetzt will ich im Pokalfinale auch ein Tor schießen“, erzählt sie. „Das Endspiel mit dem ganzen Drumherum war ein Riesenerlebnis, und dass ich dann wirklich getroffen habe, als ich mich von halblinks in die Mitte dribbelte und flach in die Ecke zum 2:0 schoss, macht das Ganze natürlich noch unvergesslicher. Ebenso wie anschließend unser Auftritt in weißen Anzügen im ZDF-Sportstudio.“ Ariane Hingst, damals Turbine-Kapitän, charakterisierte Zietz nach dem Abpfiff so: „Unser Küken und ein Laufwunder. Klasse, wie sie heute getroffen hat.“ Auch wenn dem noch zahlreiche weitere Triumphe folgten – das war für die Mecklenburgerin ein ganz besonderes Erlebnis. Ebenso wie das Champions-League-Finale 2010 in Getafe, „obwohl ich dort im Elfmeterschießen nicht getroffen habe“, meint sie. „Wir haben aber am Ende trotzdem gewonnen, und das macht ein solches Spiel zu etwas ganz Tollem.“

Spielte Jennifer Zietz anfangs im Angriff, so wurde sie von Cheftrainer Bernd Schröder in den folgenden Jahren mehr und mehr mit Aufgaben in Mittelfeld und Abwehr betraut. „Ich bin froh, recht flexibel zu sein, und habe bis auf Torwart schon alles gespielt“, meint die Fußballerin, die Schröders „Geheimwaffe“ bei besonders brisanten Spielen wurde. So verurteilte sie im UEFA-Cup-Finalrückspiel 2005 daheim gegen den schwedischen Meister Djurgarden/Älvsjö Stockholm dessen Ausnahme-Stürmerin Victoria Svensson zur Wirkungslosigkeit. „Ich mag es nicht, jemandem neunzig Minuten hinterher zu laufen“, gesteht sie. „Das gehört aber zu meinen Stärken. Ich bin eine unangenehme Gegenspielerin, und selbst würde ich nicht gern gegen mich spielen.“

Als im Frühjahr 2007 zahlreiche bekannte Nationalspielerinnen Potsdam verließen, darunter auch Ariane Hingst, übergab Trainer Schröder die Kapitänsbinde Anfang März an Jennifer Zietz. „Ich war erstmal ziemlich perplex, hatte aber noch nie Angst vor neuen Aufgaben“, berichtet die Kickerin aus jener für Turbine turbulenten Zeit. „Anfangs fiel mir mein neues Amt schwer, zumal ich ja selbst noch jung war und gelenkt werden musste. Aber man wächst bekanntlich an seinen Aufgaben.“ Zietz hielt Turbine die Treue und erlebte, wie eine neue, wieder national und international erfolgreiche Mannschaft zusammenwuchs. Derzeit ist der Verein drauf und dran, zum dritten Mal in Folge Deutscher Meister zu werden; zwei Spiele trennen Potsdam noch vom Hattrick. „Natürlich holen wir jetzt den Titel; alles andere wäre eine Enttäuschung“, meint Jennifer Zietz, die auch noch mit dem erneuten DRB-Pokal- und Champions-League-Sieg rechnen kann. Und die hofft, zu Deutschlands Nationalmannschaft bei der diesjährigen Heim-Weltmeisterschaft zu gehören. „Natürlich wäre ich traurig, wenn es nicht so sein würde. Aber ich hätte in meinem Umfeld viele Leute, die mir helfen würden, falls es nicht klappt“, erklärt die bislang 15-fache Nationalspielerin, die seit ihrem ersten Einsatz im Januar 2005 gegen Australien einmal für Deutschland traf: während des Algarvecups 2010 beim 5:0 gegen China.

„Drei, vier Jahre würde ich gern noch spielen“, erklärt Jennifer Zietz. „Der Schritt weg vom Fußball würde mir sicher schwer fallen, aber ich freue mich auch schon ein bisschen auf ein Leben nach dem Fußball.“ Ihr Vertrag bei der Bundeswehr läuft zum Jahresende ab, ein Jahr würde sie gern noch verlängern. „Dann möchte ich an der Potsdamer Uni mein Sport-Studium, das derzeit ruht, zu Ende bringen“, so Zietz, die später auf jedem Fall im Sport tätig werden möchte. „Viele haben mir einen Trainerjob nahe gelegt. Aber ich weiß nicht, ob ich dafür die Geduld hätte.“ Das ist aber noch Zukunftsmusik. Jennifer Zietz steht bei Turbine noch bis 2013 unter Vertrag. Dann wird sie 15 Jahre für Potsdam gekickt haben.

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