Aus dem GERICHTSSAAL: „Ich würde nie an fremde Schränke gehen!“
Psychisch Kranker soll Mitpatienten bestohlen haben / Beweise reichten nicht aus / Freispruch
Stand:
Amtsrichterin Kerstin Nitsche fühlt dem Zeugen gründlich auf den Zahn. Der widerspricht sich mehrfach. Bei der Polizei gab Willi W.* (70) an, sein Mitpatient Udo U.* (46) habe ihm bei einem Klinikaufenthalt im Mai 2008 insgesamt 81 Euro gestohlen. Während der gestrigen Verhandlung wächst die verschwundene Summe auf 130 Euro. Und plötzlich will der Rentner auch beobachtet haben, wie der ertappte Dieb sein Portemonnaie mit Schwung zurück in den aufgehebelten Schrank geworfen hat. Davon war bei der polizeilichen Vernehmung keine Rede. Die zum Tatort gerufenen Beamten stellten nicht einmal eine Beschädigung an der Schranktür fest.
„Ich habe keine Erinnerung mehr an den Vorfall. Damals stand ich unter starken Medikamenten“, betont Udo U. auf der Anklagebank. Der Potsdamer leidet an einer chronischen Psychose. Im Frühjahr 2008 ließ er sich auf eigenen Wunsch in die Einrichtung In der Aue einweisen, da sich seine Erkrankung verschlimmerte. „Aber ich würde nie an fremde Schränke gehen. Außerdem hatte ich selber Geld dabei, 50 Euro. Die sind von der Polizei beschlagnahmt worden“, beschwert er sich.
Es könne nur der Angeklagte gewesen sein, der ihm das Geld gestohlen hat, behauptet Willi W. Zu Beginn seines Krankenhausaufenthaltes habe er mit Udo U. das Zimmer geteilt, seine Börse auf das Fensterbrett gelegt. Wenig später habe er festgestellt, dass 80 Euro fehlten. Einige Tage später – Willi W. hatte inzwischen ein anderes Zimmer bezogen – will er Udo U. auf frischer Tat ertappt haben. „Ich sollte zur Therapie. Aber die fiel aus. Deshalb kam ich schneller als erwartet zurück. Da sah ich, wie der Angeklagte an meinem Schrank herumfummelte“, erzählt Willi W. „Hat er die Geldbörse nun hineingeschmissen?“, fragt der Staatsanwalt. Der Zeuge rudert zurück. „Das habe ich nicht bemerkt. Aber als ich nachschaute, fehlten 50 Euro. Die hatte ich kurz zuvor aus dem Automaten geholt. Ich war ja froh, dass die EC-Karte noch da war.“ Die Richterin hakt nach: „Bei der zeitnahen Vernehmung durch die Polizei gingen Sie bekanntlich von einer geringeren Summe aus, die Ihnen gestohlen wurde. Können Sie das erklären?“, Der Zeuge kontert: „Vielleicht war ich ein bisschen verwirrt. Schließlich lag ich wegen eines Suizidversuchs in der Klinik.“ Vieles spräche für die Täterschaft des Angeklagten. Beweisen könne man ihm allerdings nichts, befinden Staatsanwaltschaft und Gericht. Udo U. – vorbestraft wegen zahlreicher Diebstähle, aber auch wegen gefährlicher Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Totschlags – kommt diesmal mit einem Freispruch davon. (*Namen geändert.) Hoga
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