Von Anne-Sophie Lang: „Ihr seid die Elite“
Gerd-Ekkehard Lorenz erinnert sich an seine Zeit an der Napola Potsdam
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Auffallen. Immer die Angst vor diesem Wort. Ein bisschen Dreck unter der Koppelschlaufe reichte schon, erinnert sich der alte Herr. Ein Spind, in dem die Hemden nicht ganz auf Kante lagen. Oder ein schief stehendes Bett. Wer auffiel, dem wurde die Freizeit gestrichen. Ordentlich und sauber mussten die Jungen sein, schließlich sollten sie einmal an der Spitze des Reiches stehen. Die Hoffnungsträger der Deutschen. Gerd-Ekkehard Lorenz war einer von ihnen. Einer von Hitlers Jungs – ausgebildet in der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt Potsdam I auf dem Areal der heutigen Staatskanzlei, im Volksmund: Napola.
Seine Haare sind ergraut, aber die braunen Augen blicken wach und klar. Lorenz’ Stimme füllt den Raum, wenn er redet, sind andere still. Um die 30 Leute, darunter fünf, sechs Schüler, sind in den Treffpunkt Freizeit der Malteser gekommen, um ihm zuzuhören. Stolz sei er gewesen, erzählt der 78-Jährige, damals, 1940, als er mit neun Jahren die Aufnahmeprüfung bestand. Stolz darauf, „Jungmann“ zu sein, zu den Auserwählten zu gehören. Zwei ältere Brüder waren im Krieg, die Mutter froh, dass er versorgt war.
„Ich dachte: Mann, was kriegst du da geboten“, erinnert sich Lorenz. „Schwimmen, Schießen, Reiten, Tennis, außerdem ’ne schicke Uniform.“ Bei der Ausbildung der jungen Elite sparte das Regime an nichts. „Mehr sein als scheinen“, war Motto der Napolas, und: „Männer machen Geschichte, die Männer machen wir.“ Neben den üblichen Fächern – Mathe, Englisch, Latein – lernte der Nachwuchs militärischen Gehorsam und den Umgang mit Waffen. „Das war Kriegsspiel“, sagt Lorenz rückblickend. „Die Vorbereitung aufs Kämpfen.“
Auf der anderen Seite sei da diese Lagerromantik gewesen und „eine Kameradschaft, wie ich sie nie wieder erlebt habe“ in der privilegierten Jungengemeinschaft. „Es hieß: Ihr seid die Elite der Nation“, erzählt Lorenz. „Der Führer schaut auf euch.“ Besucht hat der seine Kaderschmieden zwar so gut wie nie. Aber im Hinterkopf sei er immer präsent gewesen, wie der „Große Bruder“.
Es war ein Leben im Kollektiv. Privatsphäre existierte kaum. Von morgens halb sieben bis abends um neun lernten die Jungen gemeinsam, nachts schliefen 120 in einem Saal. Viele hatten Heimweh. Manche zählten morgens die Ringe auf der Matratze, die verrieten, wie oft einer ins Bett machte, erinnert sich Lorenz. Aber dass Bettnässer sich draußen mit der feuchten Matratze auf dem Kopf hinstellen mussten wie im Film „Napola – Elite für den Führer“ – das habe es nicht gegeben. Ohnehin sei die Schule im Film „die Karikatur einer Napola“, urteilt Lorenz. „Die üben da mit scharfen Handgranaten – völlig undenkbar.“ Derart ernst wurde es für ihn und seine Mitschüler erst, als im April 1945 die Bomben auf Potsdam fielen. 64 trafen das Gelände der Napola I in der Heinrich-Mann-Allee. Deren Leitung kommandierte ihre Schüler nach Spandau – direkt in die Schusslinie der Roten Armee. Der Siegesglaube, den sie bis zum Schluss gehabt hatten, der Glaube an die Überlegenheit der Deutschen, an die Wunderwaffe in der Hinterhand – „der schmolz wie Schnee in der Sonne“, sagt Lorenz. Am 4. Mai wird er gefangen genommen. „Du nix Soldat. Du Kinder!“, hatte der Russe noch beim Anblick des 14-Jährigen gerufen und ihm ein Stück Brot geschenkt.
Nach dem Krieg war Lorenz Lehrer für Geschichte, Politik und Deutsch. Was wäre im Dritten Reich aus ihm geworden? „Zum Glück war ’45 Schluss“, sagt er. Ein Zuhörer war „Jungmann“ an der Napola Oranienstein. Ob sie dort wirklich Tischdecken und Blumenvasen auf den Stuben hatten, fragt Lorenz, wie es die Potsdamer Jungs in einem Film gesehen hatten. Die Jungs, die, wenn sie raus durften, gern in der Brandenburger Straße Eis aßen.
Anne-Sophie Lang
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