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DICHTER Dran: Im Abseits

Ich bin dem Großereignis, bei dem zwanzig Männer auf einen Ball eintreten und zwei weitere versuchen, ihn zu erhaschen, sehr dankbar. Es hat mir die einsamsten Sommerstunden auf Potsdams Gewässern beschert.

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Ich bin dem Großereignis, bei dem zwanzig Männer auf einen Ball eintreten und zwei weitere versuchen, ihn zu erhaschen, sehr dankbar. Es hat mir die einsamsten Sommerstunden auf Potsdams Gewässern beschert.

Am Wochenende, wenn der shorts-bewehrte Brandenburger seine schwimmende Datsche besteigt und im Stau in der Meerenge zwischen Templin- und Schwielosee steht, fröhlich beglotzt von den Gästen des Fährhauses Caputh, sein schön durchglühter Nacken gebeugt übers Steuer, die Dame mit gerötetem Dekolleté leise gelangweilt daneben, um in kollektiver Schrebergartenmanier auf Ausflugsfahrt zu gehen, dann kriegt kein Kanute mehr sein Paddel ins Wasser.

Ist aber WM, ist der See weit, der Himmel hoch. Die Wellen schlagen lieblich an den menschenleeren Strand. Über den Wassern kein Laut. Kein prötzelndes Stinktier, das mir die Heckwelle ins Kanu schleudert. Ich bin mutterseelenallein. Taki, Babsy, Sweety, Triny und Billy Joe ankern weiß und still vor sich hin, in der Gluthitze blüht der See. So muss das Ende der Welt aussehen. Die Frage ist nur, warum ausgerechnet ich noch da bin. Hab ich nicht einst auch einen Klinsmann in einen WM-Kalender geklebt? Wie wird der sich heute fühlen, wenn er sieht, wie den frischen Waden auf dem Rasen zugejubelt wird wie früher den seinen? Er könnte den Eindruck bekommen, es sei egal, wer im Trikot darüber steckt. Noch so ein Überlebender. Die Namen auf den Trikots könnten genauso gut Bootsnamen sein: Butt, Özil, Tasci. Sie hätten nicht weniger mit mir zu tun. Sie wurden geboren, als in meinem Leben gerade der Pioniergruß abgeschafft wurde. Aber jenseits des Wassers gibt es sie: Menschen, für die diese Namen zur ersten Begegnung mit Leidenschaft werden. Nur Butt ist so alt wie ich. Er ist das Fossil im Team. Die dritte Wahl im Tor.

An Bord der Taki im Krampnitzsee, wo früher die Russen im Winter Eisangeln und im Sommer Panzerbaden veranstaltet haben, öffnen zwei nackte Bejahrte ihr Bier. Vielleicht ist auch Taki ein Fußballer gewesen. Das Ende der Welt dieser Bootsleute liegt noch viel weiter zurück, und sie machen doch irgendwie weiter. Also Klinsi, ich bin dann mal paddeln!

Unsere Autorin Antje Rávic Strubel lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihren 2007 erschienen Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.

Antje Rávic Strubel

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