zum Hauptinhalt
Konzentriert: Ruth Knaup tanzt am Sonntag in der Nikolaikirche.

© M. Lüder

Landeshauptstadt: Im Dienst der Verkündigung

Die Potsdamer Improvisationstänzerin Ruth Knaup ist am Sonntag in der Nikolaikirche zu erleben

Stand:

Wann wird in mitteleuropäischen Kirchen schon einmal getanzt? Selten. Und in der Passionszeit? Erst recht nicht! Doch in der Nikolaikirche ist das dieses Jahr ganz anders. Gleich an drei Sonntagen in der Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern kann man hier Tanz erleben.

Kirchengestühl an die Seite räumen, Fenster verdunkeln, Musik an und dann das Tanzbein schwingen? Nein, Potsdams große protestantische Kirche in der Stadtmitte wird nicht etwa zum Sündentempel. Es sind vielmehr wohl eher beschauliche Tanzperformances, die von der Tänzerin Ruth Knaup und ihren Partnerinnen im Rahmen der Reihe „Potsdamer Passions- predigten“ dargeboten werden. Am morgigen Sonntag ist es wieder so weit: In dem um 18 Uhr beginnenden Gottesdienst wird Knaup gemeinsam mit Odile Seitz-Walser und Britta Schönbrunn versuchen, dem Text der Bibellesung einen körperlichen Ausdruck zu verleihen, ihn zu Orgelmusik mit Mitteln des Improvisationstanzes zu interpretieren.

Die Lesung im Gottesdienst „ist der Impuls, auf den wir eine Resonanz geben“, erklärt Knaup. Eine Resonanz, die im besten Falle in den Gottesdienstbesuchern etwas zum Klingen bringt, wie sie sagt, die aber bei dem einen oder anderen auch eine gewisse Verwunderung auslösen kann oder sogar Ratlosigkeit. Das Spektrum der Reaktionen reiche von spontaner Begeisterung bis hin zu Befremden, berichtet Knaup. Diese Kunstform erfordere „eine gewisse Art des aktiven Sich-Einlassens“. Jeder Gottesdienstbesucher könne sich fragen: „Was macht das mit mir?“ Gefühle und innere Bilder würden so beim Betrachter ausgelöst. Doch die Tanzperformance ist alles andere als Frontalunterricht für Gottesdienstbesucher. Die zwischenmenschlichen Schwingungen sollen immer auch den umgekehrten Weg, nämlich vom Publikum hin zu den Künstlern, finden: Die Menschen in der Kirche „bieten uns was an, indem ihre Sehnsüchte im Raum sind“, sagt Knaup. Sie vergleicht das mit einem Vortragsreisenden: Er stoße auch immer wieder auf unterschiedliches Publikum. Die Stimmung unter den Zuhörern färbe letztlich auf den Vortragenden selbst ab.

Wer Ruth Knaup im Gespräch erlebt, kann erahnen, dass bei ihr Geist und Körper nah beieinander sind. Wenn die brünette Potsdamerin über ihre Arbeit redet, dann doziert da nicht jemand mit monolithischem Körper, bei dem sich lediglich der Mund bewegt. Es ist aber auch nicht die ganz große Geste, die einem bei ihr entgegenschlägt. Kein Überschwang, keine lauten Töne. Konzentriert, das rechte Bein fast horizontal unter das linke geschoben, sitzt die 41-Jährige auf ihrem Stuhl und versucht, den Kosmos ihrer Tanzerfahrungen zu erklären. Ihre Hände reden dabei mit. Immer wieder sucht sie nach noch treffenderen Formulierungen, um das zu erklären, was einfach schwer erklärbar ist: Tanzkunst im Dienste der Verkündigung. Kunst und Glaube – zwei ohnehin schwer beschreibbare Bereiche.

Fünf Ebenen benennt Knaup. Aus der Überlagerung dieser Ebenen entstehe die Improvisation, bei der es keinesfalls darum gehe, den biblischen Text quasi nachzuspielen. Ganz unten, auf der tiefsten Ebene, dort sei die Schwerkraft, aber auch der Rückstoß des Bodens unter den Füßen. Darüber schieben sich Dinge wie zum Beispiel ein Luftzug, Emotionen und Geschichten. Sie alle bilden weitere Ebenen, erklärt Knaup. Und schließlich, auf der obersten Ebene, stehe die Spiritualität, sagt die Potsdamerin, die sich selbst als kirchlich sozialisiert bezeichnet und aus der Gemeinde der Friedenskirche kommt. Die Herausforderung bei einer solchen Tanzperformance wie in der Nikolaikirche sei die schnelle Wahrnehmung und Umsetzung dieser vielen bedeutungsreichen Ebenen. Zudem muss sie mit ihren Mittänzerinnen eine gemeinsame Sprache finden, ohne sich während der Performance mit Worten verständigen zu können. Es gebe zwar „ein paar verabredete Stellen“, so Knaup, doch ganz wichtig für das Gelingen sei nun einmal die „innere Wachheit“. Sie unterscheide eine solche Improvisation – also Komposition und Ausführung im gleichen Augenblick – vom „Rumgewurschtel“. H. Catenhusen

H. Catenhusen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })