Homepage: Im Klammergriff hirnloser Hektik
Beschleunigung bedeutet Stress für den Einzelnen und schadet der Demokratie, meint der Soziologe Rosa
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Während sie die Suppe umrührt, telefoniert sie mit dem potenziellen Auftraggeber, versucht nebenbei ihre E-Mails zu checken und den Pudding abzugießen. Das alles mit dem frisch gewickelten Säugling auf dem Arm, während sich der Mann schon Mittags in die Disko verabschiedet hat. Mit diesem Beispiel aus dem Leben einer jungen Mutter in Berlin illustriert Hartmut Rosa, was er meint, wenn er von Beschleunigung spricht. Die Aussage „Alles ein bisschen hektisch im Moment“ hält der Jenaer Soziologieprofessor, der jetzt im Potsdamer Einstein Forum zu Gast war, für ein regelrecht zeittypisches Statement.
Wer Hartmut Rosa zuhört, dem wird schnell klar, dass sich der 45-Jährige sein Forschungsthema nicht zufällig ausgesucht hat. Die gesteigerte Geschwindigkeit des Lebens taucht nicht nur in den Titeln zweier seiner Bücher auf. Sie äußert sich auch unmittelbar im Vortrag des Wissenschaftlers. Mit bemerkenswerter Sprech- und Denkgeschwindigkeit breitet er den Gegenstand seiner Untersuchungen vor den zahlreich versammelten Zuhörern im Einstein Forum aus.
Rosa zeichnet dabei das Bild einer Moderne, die in der Steigerung von Produktionsraten und Kommunikationsgeschwindigkeiten jede Orientierung verloren hat. „Die Gegenwart produziert permanent schuldige Subjekte, die das Gefühl haben, ihre To-do Listen nicht abgearbeitet zu haben“, stellt er fest. Seit Hamlets Klage, „die Zeit sei aus den Fugen“, sei die Beschleunigung ein Wesensmerkmal gesellschaftlicher Wahrnehmung von Zeit. An Schlagworten wie Multitasking, Dynamisierung und Globalisierung mache sich fest, wie Zeit gesellschaftlich wahrgenommen wird. In Beispielen wie dem der jungen Mutter offenbare sich eine Zeitkonstruktion, gegen die Hamlets Familienhändel geradezu gemütlich erscheinen. Dass ein in dieser Weise beschleunigtes Leben nicht zum Wohl des einzelnen gereicht, sei offensichtlich.
Die digitalen und politischen Revolutionen um das Jahr 1989 hätten unter dem Stichwort der „Globalisierung“ einen Beschleunigungsschub gebracht. Dieser sei aber gar nicht so einmalig, sondern ein regelmäßig wiederkehrendes Merkmal der Moderne, meint Rosa.
Für viel bedenklicher hält er es daher, dass der Einzelne sich „seiner Position in der Welt“ aufgrund der Veränderungsprozesse nicht mehr sicher sein könne. Bis zu elf Mal wechsele der durchschnittliche Amerikaner im Laufe seines Lebens die Stelle. Auch in Deutschland breiten sich neue Arbeitsverhältnisse wie Zeit- und Leiharbeit aus. Freiheit bedeute vielfach die Erfahrung von Beliebigkeit. In modernen Gesellschaften sei es völlig egal, ob jemand links, rechts, katholisch, protestantisch oder schwul sei, der Einzelne müsse sich seinen Sinn schon selber suchen. Das erzeuge Unsicherheit, in der Rosa letztendlich auch eine Gefahr für Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt sieht. Denn Demokratie benötige ein Abwägen von Argumenten, nur gründliche Diskussionsprozesse könnten gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Entwicklungen produzieren. Die aber kosten Zeit.
Eine Lösung aus der Umklammerung hirnloser Hektik erhofft sich Rosa nicht primär aus einer Überwindung gesellschaftlicher Strukturen. Die beschreibt er zwar mit seinem Buch „Kapitalismus - Kritik“. Was auf den Kapitalismus folgen solle, wisse er aber auch nicht, gesteht Rosa: „Ich bin nur soziologischer Diagnostiker und benenne Missstände.“
Dagegen sei die Hegelsche Definition von der Freiheit desjenigen, der sich selbst im anderen erkenne, auch heute aktuell. Rosa führt dazu den Begriff der „Resonanzerfahrung“ in die Soziologie ein. Es gelte, sich in der Welt gespiegelt zu sehen und ein Echo in den Dingen und Menschen zu erkennen. Nicht umsonst hätte die neuronale Forschung in den vergangenen Jahren den Begriff der Spiegelneuronen entdeckt. Es sei eine deprimierende Entwicklung, wenn immer mehr gestresste Manager beim Wecken im Hotel sich nicht nur die Uhrzeit, sondern auch den Ort und das Land nennen lassen würden, in dem sie sich gerade befinden. Der Mensch müsse sich seiner wieder bewusster werden und sich im Gegenüber suchen, findet Rosa. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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