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Homepage: Im Labyrinth der Literatur Cornelia Klettke hielt

Antrittsvorlesung

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Das Monster wirkt verunsichert und ratlos. Gebückt, den massigen und gelblichen Stierrücken gekrümmt, stützt sich der Minotaurus auf einen Steinquader. Das Mischwesen aus Mensch und Tier hat den Blick vom Betrachter abgewendet und sieht mit gespitzten Ohren über eine mediterrane Landschaft. Auf der Darstellung des britischen Malers George Frederick Watts hat das mythische Fabelwesen eher etwas von einem alleingelassenen Hund, als von dem Menschenfresser aus dem berühmten Labyrinth auf der Insel Kreta. Der Minotaurus, halb Mensch, halb Stier, scheint es leid zu sein, alljährlich griechische Jünglinge verspeisen zu müssen.

Das Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Gemälde stand im Zentrum der Antrittsvorlesung von Professor Cornelia Klettke. Mit dem Vortrag „Minotaurus, Vogelmensch, Komet – Verborgene Schriftsteller, verrätselte Texte“ stellte sie sich jüngst der Potsdamer Universitätsöffentlichkeit vor. Sie bekleidet seit dem Sommersemester 2006 einen Lehrstuhl für romanische Literaturwissenschaft an der Potsdamer Uni. Ihre Promotion schrieb sie in Kiel, im Jahr 2000 war sie die erste Habilitandin der neu gegründeten Romanistik an der Uni Rostock.

Mit ruhiger Stimme und verständlichen Begriffen erläuterte Cornelia Klettke ihre Herangehensweise an italienische, französische und spanischsprachige Literatur. Konzentriert die Fingerkuppen aneinandergelegt, erläuterte die Professorin ihre Konzeption literarischer Ästhetik: eine Ästhetik des „Simulakrums“. Dies sei eine Auffassung, so machte sie mit gelungener Didaktik klar, nach der Literatur die Welt um sie herum nicht einfach wiedergibt oder nachahmt. Vielmehr begreift Cornelia Klettke literarische Texte als „Echoräume“, als verzerrte Spiegeleffekte und geheimnisvolle Labyrinthe. Statt auf die Welt außerhalb des Textes, nimmt Literatur Bezug auf sich selbst. Daher müsse der Literaturwissenschaftler „wie ein Detektiv“ literarische Texte entschlüsseln: „Eine Spurensuche, dem Schriftsteller auf den Fersen.“

Cornelia Klettke zeigte dieses Prinzip anhand eines Textes des argentinischen Autors Jorge Luis Borges. Borges lässt in einer seiner Geschichten den Minotaurus zum Erzähler werden. Die Entfesselung des im Labyrinth gefangenen Fabelwesens entspricht der Entfesselung der Erzählung: ein Text entsteht. Borges Geschichte ist wie ein Echo der griechischen Mythologie. So müssen Autor und Leser das Labyrinth unterschiedlicher Einflüsse meistern.

Ein solcher Text, so Cornelia Klettkes an Borges anknüpfende Interpretation, vermittelt dann keine eindeutige Botschaft oder Weltsicht mehr. Vielmehr erscheint er als ein fragmentarisches Gewebe aus verschiedenen Elementen, zu denen neben der griechischen Mythologie auch das Gemälde von George Frederick Watts zählt. Cornelia Klettkes Verwendung des Begriffs „Simulakrum“ bezieht sich auf genau solche Webmuster: Texte werden mit anderen Texten, aber auch mit bildender Kunst verknüpft. So konnte die Wissenschaftlerin bei ihrer Antrittsvorlesung eindrucksvoll zeigen, wie sie Licht in das Dickicht schwer verständlicher Texte bringt. Schließlich ist es nicht leicht, aus diesen modernen Labyrinthen herauszufinden. Doch wem dies – wie Watts Minotaurus – gelingt, der wird sich bei Professor Cornelia Klettke keinesfalls verloren oder ratlos fühlen. Mark Minnes

Mark Minnes

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