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Landeshauptstadt: Im Land der Buntgemischten

Trotz Inklusion: Die Babelsberg Oberlinschule feierte die Sanierung ihres Altbaus – die Nachfrage nach der Förderschule ist ungebrochen

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Babelsberg - Der Junge reicht das Mikrofon seinem Nachbarn im Rollstuhl. Beide rezitieren im Foyer der Oberlinschule das Gedicht von einem Land der Buntgemischten, wo niemand mehr auffällt, weil er anders ist. Gut hundert geladene Gäste, Mitschüler und Lehrer applaudieren und die zwei Jungs genießen den Beifall. Andere Schüler führen Tänze auf, trommeln oder singen. Mit einer großen Feier hat die Babelsberger Förderschule am Dienstag ihren sanierten Altbau eröffnet. Rund 330 000 Euro Spenden konnte die freie Schule in den vergangenen drei Jahren einnehmen. Von den Geldern ließ die Schule vor allem Raum schaffen. „Kinder brauchen Platz“, sagt Uwe Plenzke, der Geschäftsführer der Oberlinschule. Mehr Fachräume gebe es jetzt, freut er sich, alle barrierefrei.

Rund 280 Schüler mit vielfältigen motorischen und geistigen Entwicklungsstörungen – körperbehinderte, seh- und hörbehinderte – lernen hier. Rund 60 von ihnen sind autistische Kinder und Jugendliche. Sie alle treffen auf Lernbedingungen, von denen Inklusionsschulen nur träumen können: Eine Vielzahl von Sonder-, Heil- und Sozialpädagogen, Psychologen und Therapeuten begleiten und fördern die Schüler. „Ich fürchte“, sagt Schulleiterin Gudrun Lehmann mit Blick auf das Projekt Inklusive Schule, „die personellen Ressourcen werden nicht da sein, um diese hohen fachlichen Aufgaben zu erfüllen. Es reicht nicht, für körperbehinderte Kinder eine Rampe zu bauen.“ Auch die räumliche und sachliche Ausstattung etwa an Lehrmitteln könnten Schulen für ein oder wenige Kinder, die Förderbedarf haben, gar nicht leisten. Lehmann schwebt eher das schwedische Modell vor: Dort gebe es in einer Schule verschiedene Klassen. Ein Teil der Kinder lernt in einer Förderklasse und sei gleichzeitig in das Schulleben eingebunden.

Trotz – oder gerade wegen - des Inklusionsprojekts des Landes Brandenburg ist die Nachfrage an der Oberlinschule ungebrochen groß: Die Einrichtung ist voll ausgelastet. „Wir sehen eine hohe Not und einen großen Bedarf bei Eltern und Fachleuten nach einem verlässlichen Angebot“, sagt Plenzke. Oft entscheiden sich Eltern auch mitten im Schuljahr, ihre Kinder aus einer Regelschule wieder herauszunehmen, wenn es mit der Inklusion doch nicht geklappt hat. Rund zehn Kinder im Jahr wechseln so von ihrer Grundschule zur Oberlinschule, etwa genauso viele sind es nach der sechsten Klasse. „Eine Regelschule kann anregend für Kinder sein“, kommentiert Lehmann. „Aber es kann auch anregend genug sein, mit anderen Lernbehinderten in einer Klasse zu sein.“ Trotzdem verfolgt auch Lehmann die Vision einer Gesellschaft für alle. „Als Sonderpädagogin ist es natürlich mein Ziel, das Kind so stark wie möglich in ein ,normales Leben’ einzubinden.“ Plenzke reicht das hehre Ziel der Inklusion nicht aus. „Wir müssen uns nicht nur über das Ziel einig sein, sondern auch den Weg dahin beschreiben“, sagt der Geschäftsführer. Dafür müsse man tiefer einsteigen, pädagogische Konzepte und therapeutische Kooperationen für die Kinder erarbeiten. „Da müssen alle Schulen mit ihrer Kompetenz mitgenommen werden.“ Dass die Oberlinschule mit ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrung nicht in die Debatte um inklusive Bildung einbezogen werde, ärgert den ehemaligen Leiter der Schule. Es sei „eine fürchterliche Bildungsstrategie“ des Landes, Schulen in freier Trägerschaft auszugrenzen und Förderschulen nicht zu berücksichtigen.

Plenzke kann sich gut eine Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen vorstellen. Auch könnte die Oberlinschule selbst zu einem Inklusionsprojekt werden. Zwar stoße man dann an Kapazitätsgrenzen, aber es habe bereits Anfragen von Eltern gegeben, sagt Plenzke, ob nicht auch Geschwisterkinder mitaufgenommen werden können. Doch die Schulleitung musste ablehnen. Das Ministerium erteilt keine Genehmigung für Schüler ohne Förderbedarf.

Zu dem Fest am Dienstagvormittag sind viele Unterstützer der Schule gekommen. Uwe Beyer, der ehemalige Olympiasieger im Kugelstoßen, sitzt in der ersten Reihe. Nur von der Stadt sei mal wieder niemand da, bemerkt Uwe Plenzke. Obwohl sich die Sozialbeigeordnete angekündigt hatte. „Das wäre die Gelegenheit gewesen, sich ein Bild zu machen von unserer Arbeit.“ Denn vermutlich werden auch künftig weder Stadt noch Land auf die Oberlinschule verzichten können.

Grit Weirauch

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