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Landeshauptstadt: im Rathaus wachsen die Probleme

Mit dem Skandal um das Literaturstipendium musste die Verwaltung den Offenbarungseid leisten – doch die taktischen Missgeschicke häufen sich: Mehr Fingerspitzengefühl und Weitsicht sind angebracht

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Mit dem Skandal um das Literaturstipendium musste die Verwaltung den Offenbarungseid leisten – doch die taktischen Missgeschicke häufen sich: Mehr Fingerspitzengefühl und Weitsicht sind angebracht Gute Vorsätze reichen diesmal nicht. Das politische Potsdam beendet das Jahr 2004 in einer Lage, die nicht mehr nur die eingefleischten Opponenten von Oberbürgermeister Jann Jakobs eine Rathauskrise nennen. Schlechte Schlagzeilen, manche bundesweit, sind Indiz dafür. Mehr als nach außen brodelt es aber im Inneren der Stadt – und der Verwaltung. Letztere musste mit dem Skandal um das gescheiterte Kulturhauptstadt-Literaturstipendium den Offenbarungseid leisten: Die Stadtspitze hat den Konflikt unterschätzt, die Fähigkeiten mancher ihrer Mitarbeiter überschätzt. Die Misere um den Schriftsteller Andreas Maier, von der die entnervte Potsdamer Öffentlichkeit am liebsten nichts mehr hören will, hat mehr zutage gefördert als das, was vom Stipendiaten im Feuilleton einer großen deutschen Zeitung in peinlichster Genauigkeit dokumentiert worden war. Die Frage, die sich nach eben jener Lektüre stellte, ist auf andere Vorgänge übertragbar: Wie konnte das passieren? Die Erklärung musste Oberbürgermeister Jann Jakobs zumindest im Falle des Literaturstipendiums, das keines wurde, der Öffentlichkeit liefern. Er müsse sich vorwerfen, sagte er, dass er nicht rechtzeitig reagiert habe. Doch nicht nur das. Eine ganze Reihe von Alarmketten haben augenscheinlich versagt, die drohende Provinzposse wurde sträflich unterschätzt. Weil der Oberbürgermeister, wie es ihm auch die CDU vorwirft, die Zügel nicht fest genug in der Hand hält? Nur Wochen zuvor hatte Jakobs eine andere Eskalation nicht verhindern können. Die Anlieger am Griebnitzsee bauten Barrikaden, rissen den Asphalt des Spazierweges am Ufer auf. Der Oberbürgermeister musste Bagger anrollen lassen, um die Blockade zu beräumen. Nun streitet die Stadt sich vor diversen Gerichten um den Uferweg, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Ein Ende ist selbst für das kommende Jahr nur bedingt absehbar. Aber ist die Jagd durch die Instanzen tatsächlich notwendig, wie der Oberbürgermeister entschieden hat? Ein Zurück zum Kompromisskurs kann es kaum geben. Die städtischen Verschwörungstheorien allerdings – gegen diejenigen gerichtet, die für den Verkauf des Uferweges an die Anlieger entschieden haben – lassen nicht unsichtbar werden, was zuvor geschah. Jakobs hat sich auf einen finanzschweren Poker eingelassen. Bei dem es offensichtlich entgegen den Erwartungen nicht hilfreich war, dass er dasselbe Parteibuch in der Tasche hat wie die Entscheidungsträger auf Bundesebene. So unerklärlich die Rathausspitze es finden mag, dass gegen sie entschieden worden ist, der Eindruck bleibt: Sie hätte es besser wissen müssen. Oder sich bessere juristische Beratung ins Haus holen müssen. Und die Fronten sind weiter verhärtet, auch verschuldet durch diejenigen Anlieger, welche die Stadt zu einem Tauschgeschäft Uferweg gegen Bootshäuser zwingen wollen. Ob die Gerichte entscheiden, wer schlussendlich das Gesicht verliert? Im jahrelangen Gezerre um das Spaßbad auf der Brache in Drewitz ist diese Entscheidung gefallen. Allerdings nicht ausschließlich zugunsten des Rathauses. Dort hat man sich nun, in höchste Zeitnot geraten durch die auslaufenden Förderprogramme, zwar entschieden, das Bad selbst zu bauen. Was bleibt, ist jedoch nicht nur die trostlose Lücke in Drewitz. Sondern der bittere Nachgeschmack eines sehr fragwürdigen Abschieds von dem Plan, den die Stadtspitze lange Zeit gemeinsam mit dem Investor für das 20-Millionen-Euro-Projekt im Neubaugebiet geschmiedet hat – und trotz aller rechtlichen Hürden durchdrücken wollte. Ob die Kehrtwende gelungen ist, kann nicht allein das Bad auf dem Brauhausberg, das Ende 2006 stehen soll, beweisen. Noch immer sind die angedrohten Schadenersatzforderungen der Investoren nicht ausgeräumt. Der geballte Unmut der Potsdamer über die neue Straßenreinigungsgebührensatzung wird den Oberbürgermeister außerdem ins neue Jahr verfolgen. 1500 Beschwerdebriefe sind in dieser Sache bei der Stadtverwaltung eingegangen. Von horrenden Preissteigerungen berichten die Bürger, allein die Rechtfertigung dafür bleibt unerklärlich – in anderen Brandenburger Städte muss weit weniger gezahlt werden für saubere Straßen. Dass Potsdams Politik – parteiübergreifend – sich augenscheinlich jahrelang nicht getraut hat, die Gebühren soweit anzuheben wie rechtlich erlaubt, taugt nicht als alleiniges Argument. Vielmehr werfen die verärgerten Bürger der Rathausspitze, aber auch dem Stadtparlament vor, sich denkbar ungeschickt angestellt zu haben. Anders seien Steigerungen der Reinigungsgebühren bis zu 4000 Prozent nicht zu erklären. Und auch hier funktioniert das Krisenmanagement nicht. Auch beim Fernsehinterview kann der Oberbürgermeister nicht überzeugend darlegen, warum die Straßenreinigung in Potsdam so teuer sein muss. Vielleicht sind all“ diese taktischen Missgeschicke auch der Größe der Herausforderung geschuldet: Potsdam hat einen Schuldenberg von 110 Millionen Euro zu bewältigen. Und das nach dem geplanten Verkauf von städtischem Vermögen im Wert von 128 Millionen Euro. Zwar soll die bereinigte Differenz von Einnahmen und Ausgaben im kommenden Jahr bei vergleichsweise niedrigen 15,2 Millionen Euro liegen – in diesem Jahr wurde mit 30 Millionen gerechnet. Aber die Zinsen für die Kredite fressen schon jetzt knappe sieben Millionen Euro pro Jahr. Eine Summe, die unaufhörlich steigt, wird nicht ein harter Sparkurs gefahren. Gerade deshalb sind mehr Fingerspitzengefühl und Weitsicht angebracht, um statt dem Unwillen der Bürger ihr Verständnis zu gewinnen. Was im Spätsommer Matthias Platzeck auf vielen Rathausplätzen geleistet hat, wird jetzt vom Regenten der Landeshauptstadt verlangt. Überzeugungsarbeit. Dazu aber muss Jakobs die Balance wiederfinden: Zwischen seiner anfangs so sympathischen Interpretation der Sunnyboy-Rolle seines Vorgängers – und dem ihm eigenen pragmatischen Verwaltungsfleiß.

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