Landeshauptstadt: Im Umbruch
Die kleine Heilig-Kreuz-Gemeinde in der Innenstadt wird 2019 fusionieren. Dem regen Leben in der Gemeinde tut das aber bislang keinen Abbruch
Stand:
Die Geschichte des Schalksknechts ist einprägsam: Ein König will die hohen Schulden eines seiner Knechte eintreiben. Doch der kann nicht zahlen und bittet um Gnade – die ihm der König gewährt. Kurz darauf ist der Knecht in derselben Lage: Ein Bekannter bittet ihn inständig, ihm wesentlich geringere Schulden zu erlassen – doch der Knecht gewährt keine Gnade und lässt den Schuldner einsperren. Da wiederum wurde der König zornig – und lieferte den unbarmherzigen Mann den Folterknechten aus, „bis er alles bezahlt habe, was er ihm schuldig war“.
Dieses Gleichnis vom Schalksknecht lesen an diesem Bibelabend rund zehn Anwesende in einem Saal des Hauses der Heilig-Kreuz-Gemeinde. Sie sitzen um einen Tisch. Die Gruppe unter der Leitung von Susanne Deller trifft sich einmal im Monat, in der Regel an jedem zweiten Mittwoch ab 19.30 Uhr. Nach dem Singen zu Beginn und dem abwechselnden Vorlesen einer möglichst prägnanten Bibelstelle werden Fragekarten verteilt, die die Anwesenden reihum beantworten sollen. In diesem Fall zum Beispiel, mit Blick auf den unbarmherzigen Gläubiger: „Fällt es Ihnen leicht zu vergeben oder rechnen Sie gern auf?“ Und wie ist das in der jeweiligen Familie?
Matthias Deller, der Mann der Organisatorin, erzählt von seinem Bruder – dem bei einem Ausflug in den Jugendjahren ein übler Fahrradunfall passierte, wohl aus gemeinsamem Übermut heraus. Der Bruder trägt seitdem einen künstlichen Zahn. Doch nachtragend sei er nie gewesen. „Wir lachen zusammen über den Blödsinn von damals.“ Eine andere Frau erzählt dagegen von ihrer Mutter: „Wer ihr einmal etwas getan hatte, kam da nicht mehr heraus.“ So habe sich die Mutter so sehr mit ihrem Bruder überworfen, dass kein Kontakt mehr bestehe, schildert die Frau. Dagegen berichtet ein 83-Jähriger vom vertrauten Verhältnis zu seiner Tochter, nichts werde aufgerechnet. „Was für ein glücklicher Mann Sie sind“, entfährt es da einer anderen Frau. Die Anwesenden vertiefen sich ins Gespräch um das Schalksknecht-Gleichnis, um Gott, der Schuld vergibt – und darum, wie Menschen diese göttliche Tat nachahmen können.
Der Raum, in dem sie miteinander ins Gespräch kommen, ist groß, an den Wänden hängen Gemälde, etwa von Preußenkönig Friedrich II. oder von der noch unzerstörten Garnisonkirche – die evangelische Heilig-Kreuz-Gemeinde ging nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Zivil-Garnisonkirchengemeinde hervor. Der damals neue Name deutete Distanz zur militärischen Tradition an.
Eine enge Verbindung der Heilig-Kreuz-Gemeinde besteht heute zur benachbarten Erlöserkirchengemeinde in Potsdam-West. Im vergangenen Jahr haben die Gemeindekirchenräte (GKR) der Erlöser- und der Heilig-Kreuz-Gemeinde sogar die Fusion ihrer beiden Gemeinden beschlossen. Aber erst im Jahr 2019 soll sie verwirklicht werden. Hätte man sich nicht auf die Fusion verständigt, wäre es bald schwierig geworden, noch genug Ehrenamtliche zu finden, sagt GKR-Mitglied Wolf Schikora. „Die Fusion ist eine Angleichung des gelebten Lebens“, findet GKR-Vorsitzender Hans-Martin Meckel. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen werde bereits zusammen gestaltet. Einen gemeinsamen Gemeindekirchenrat gibt es seit Anfang dieses Jahres. Dennoch brauche die Fusion Zeit, sagt Pfarrerin Mechthild Metzner, die vor allem für die Erlöserkirchengemeinde tätig ist. Tatsächlich ist die Heilig-Kreuz-Gemeinde im Umbruch: Gerade wurde noch mit Tobias Ziemann – bisher als Pfarrer im Löwenberger Land tätig – ein neuer Pfarrer gewählt. Metzner hofft, dass Ziemann im Herbst seinen Dienst beginnen kann. Es seien eben auch viele bürokratische Dinge abzuarbeiten, sagt sie.
Und das dauert, auch wenn die Heilig-Kreuz-Gemeinde mit etwas mehr als 200 Mitgliedern recht klein ist. Viele davon seien Studenten, die in den Wohnheimen an der Breiten Straße wohnen und dadurch nominell zur Gemeinde gehören, erklärt Metzner. Zu den Gottesdiensten an normalen Sonntagen kommen etwa zehn Besucher. Gemessen an der Größe der Gemeinde sei dies aber ein recht guter Gottesdienstbesuch, heißt es unisono.
Die geplante Gemeindefusion könne auch für die Erlöserkirchengemeinde entlastend wirken, ist Meckel überzeugt. Denn im dortigen Gemeindehaus an der Nansenstraße gebe es eine gewisse Raumnot. Im Heilig-Kreuz-Haus in der Kiezstraße 10 ist jedenfalls viel Platz. Außer dem Raum für die Gottesdienste gibt es in dem Haus einen weiteren großen Veranstaltungssaal – auch für die besagten Bibelgespräche – und mehrere kleinere Räume. Häufig vermiete man Platz zum Beispiel an Tanzgruppen, sagt Metzner.
Nach jetziger Planung ist vorgesehen, dass auch nach der Fusion der Gemeinden in zwei Jahren weiterhin Gottesdienste im Heilig-Kreuz-Haus stattfinden. Derzeit gibt es hier jeden Sonntag einen Gottesdienst, es sei denn, man veranstaltet gemeinsam einen regionalen Gottesdienst in einer der anderen Kirchen des Sprengels. Eine Besonderheit der Heilig-Kreuz- Gemeinde: Im Anschluss an jeden Sonntagsgottesdienst findet ein Kirchencafé statt. Dieses Angebot werde sehr gerne angenommen, sagt Meckel und ergänzt: „Ich finde es sehr liebevoll hier.“
Sehr unruhige Zeiten erlebte die Gemeinde hingegen vor einigen Jahren, als einem schon damals pensionierten einstigen Pfarrer der Gemeinde die sexuelle Belästigung von Minderjährigen vorgeworfen wurde. Entsprechende Strafanzeigen wurden seinerzeit jedoch nicht weiter verfolgt, weil die behaupteten Vorfälle bis zu 30 Jahre zurücklagen und damit laut Staatsanwaltschaft bereits verjährt gewesen wären. Auch ein Disziplinarverfahren der Kirche verlief im Sande. Der damalige Gemeindekirchenrat sah sich ob seines zunächst defensiven Umgangs mit dem Thema mit Kritik aus der Landeskirche konfrontiert und wurde schließlich zwangsaufgelöst. Der einstige Jugendpfarrer, der die Vorwürfe energisch bestreitet, lebt noch heute in einer Wohnung, die der Kirchengemeinde gehört: Man hatte den Mietvertrag aus rechtlichen Gründen nicht kündigen können. Seit sechs Jahren hat der pensionierte Pfarrer Hausverbot in allen öffentlich zugänglichen Räumen der Gemeinde und in der gemeindeeigenen Kita in der Kiezstraße. Damit kann er auch nicht zum Gottesdienst in das Heilig-Kreuz-Haus gehen. „Das ist eine schwierige Sache“, sagt Meckel und schiebt zugleich nach, an dieser konsequenten Linie werde sich nichts ändern.
Die Auseinandersetzungen liegen vor der Zeit von Susanne Deller, sie stieß erst vergangenes Jahr über ihr Orgelspiel zur Gemeinde. Die herzliche Aufnahme und die Schlichtheit des Gebetsraums hätten sie überzeugt, sagt sie. Ihre Bibelgruppe diskutiert indes weiter, über Schuld, Sühne und Vergebung. Ein Teilnehmer sagt, es gebe hierzulande kein Leben ohne Schuld – „weil wir in fremd geschaffenem Wohlstand leben“, wie er unter Verweis auf die armen Regionen in der Welt feststellt. Es sind solche existenziellen Fragen, die in knapp zwei Stunden Bibelkreis zur Sprache kommen: Was sollte man mit Massenmördern tun, gerade islamistischen, fragt ein Teilnehmer auch: „Mit denen kann man doch nicht reden.“ Und wenn doch? Und was passiert, wenn ein Straftäter kurz vor seinem Tod Gott um Vergebung anfleht? Susanne Deller meint, ein Lippenbekenntnis werde wohl nicht zu Gnade führen. Aber ganz sicher weiß sie nur eines: „Am Ende richtet Gott.“
Text: Holger Catenhusen, Henri Kramer Fotos: Andreas Klaer
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