zum Hauptinhalt
Treue Seelen. Fünf Schüler des Jahrgangs 1949 waren am Gründonnerstag im Filmmuseum, wo sie sich etwa am digitalen Filmschnitt probieren durften.

© A. Klaer

Abiturienten des Einstein-Gymnasiums von 1949: Immer am Gründonnerstag

Seit Jahren treffen sich vor Ostern im Einstein-Gymnasium Abiturienten von 1949. Sie hielten 66 Jahre lang den Kontakt.

Stand:

Das Abiturfoto zeigt 23 junge Männer und eine Frau. Lächelnd blicken sie in die Kamera. Sie tragen ihre besten Anzüge, die jungen Gesichter strahlen Freude und Zuversicht aus. Das Foto ist 67 Jahre alt. Aufgenommen wurde es 1949 vor den Toren des heutigen Einstein-Gymnasiums, das in jenen Tagen noch den Namen Einsteinoberschule trug. Die damals 19-jährigen Abiturienten sind heute 85 und 86 Jahre alt. Wie an jedem Gründonnerstag in den letzten 66 Jahren feiern sie heute ihr Klassentreffen.

Die Schwarz-Weiß-Fotografie wandert von Hand zu Hand – es sind faltige Hände, die von einem gelebten Leben sprechen. Gerade haben die 14 betagten Männer und Frauen eine Führung durch das Filmmuseum erlebt. Nun sitzen sie noch zusammen, Erinnerungen werden wieder lebendig und auch einige wehmütige Worte fallen. Denn natürlich können nicht mehr alle der ehemals 24 Klassenkameraden dabei sein. Mit den Jahren ist das Grüppchen kleiner geworden. Viele sind verstorben, andere sind zu gebrechlich, um den Weg auf sich zu nehmen.

„Heute sind fünf von uns hier“, sagt Horst Goltz. Der Potsdamer ist die treibende Kraft hinter den jährlichen Treffen. Er schreibt die Einladungen, hält den Kontakt aufrecht, sorgt dafür, dass jeder eine aktuelle Liste mit den Adressen und Telefonnummern der anderen hat. Auch in diesem Jahr erhielt er zwei Briefe zurück, mit dem Vermerk „Adressat unter der angegebenen Adresse nicht ermittelbar“. „Dann muss ich leider davon ausgehen, dass die Empfänger verstorben sind“, sagt er.

Im Laufe der Zeit hat sich das Klassentreffen verändert, erzählt seine Frau Lieselotte. Nach den Kneipentouren der ersten Jahre sind die Treffen familiärer geworden. „Nach 20 Jahren durften dann auch die Angeheirateten mitkommen“, sagt sie. Nun sind die Frauen in der Überzahl. Denn auch die Witwen der Verstorbenen werden zu den Treffen eingeladen – und kommen gerne. Vielleicht ist es die zusammen verbrachte wechselvolle Geschichte, die so zusammenschweißt. 1940, mitten im Krieg, begann die gemeinsame Zeit. „Es war schwer“, erinnert sich Horst Goltz. „Morgens kam man oft unausgeschlafen zur Schule, weil in der Nacht Fliegeralarm war.“ Im Keller der Schule war ein öffentlicher Luftschutzbunker, in dem sich die Schüler tagsüber bei Angriffen zusammenkauerten. „Der Hausmeister ging durch die Räume und rief ,L15!’. Das war der Code dafür, dass in 15 Minuten Fliegeralarm ist“, beschreibt Goltz die beklemmenden Momente.

Kurz vor Kriegsende fand eine skurrile Propagandaaktion des Nazi-Regimes statt, an die er sich noch gut erinnert: „Unsere Schule war Sammelpunkt für das sogenannte Volksopfer. Die Menschen brachten warme Kleider, Jacken, Mäntel für die Frontsoldaten. Die Wochenschau kam, um Filmaufnahmen zu machen und darüber zu berichten.“ Da der Kleiderberg offenbar nicht groß genug war, mussten die Schüler eine Kette bilden und die Kleider aus der Turnhalle in den Schulhof tragen – und auf dem großen Kohlehaufen, der dort lag, verteilen. „Damit es nach mehr aussieht“, schmunzelt Goltz.

1949 trennten sich die Wege der Klassenkameraden. Es sollten die vorerst letzten Schüler sein, die an der Einsteinoberschule ihr Abitur ablegten. Denn 1950 wurde die Schule geschlossen, nachdem sich eine komplette Klasse inklusive ihres Lehrers nach Bremen abgesetzt hatte. Erst 1994 zogen wieder Schüler in das Gebäude ein.

Aus den ehemaligen Schülern von 1949 wurden Architekten, Zahnärzte, Lehrer, Gaststättenbesitzer, Redakteure. Das einzige Mädchen, das ihr Abitur in dieser Klasse ablegte, wurde Forstmeisterin. Man bekam Kinder, fuhr gemeinsam in den Urlaub. „Heute sind unsere Enkel miteinander befreundet“, sagt eine Teilnehmerin.

Die deutsche Geschichte blieb aber wechselvoll – und erschwerte die jährlichen Treffen. Die ehemaligen Schüler verstreuten sich in alle Winde. „Viele studierten in West-Berlin und blieben dann dort, als die Mauer gebaut wurde“, erzählt Horst Goltz. Trotzdem telefonierte man miteinander oder schrieb sich Briefe. „Es wurde auch über Politik diskutiert, aber nie bösartig“, sagt seine Frau Lieselotte. Alle hätten sich immer gegenseitig geachtet, auch wenn es durchaus unterschiedliche Auffassungen gegeben habe. „Freundschaften waren ihm schon immer unglaublich wichtig“, sagt sie über ihren Mann. Das erste gemeinsame Klassentreffen nach der Wende fand am Wannsee statt. „Das war dann für uns tatsächlich richtig Wiedervereinigung.“

Als das Grüppchen am Nachmittag aus dem Filmmuseum tritt, scheint die Sonne. Das Klassentreffen wird nun mit Kaffee und Kuchen ausklingen. „Früher saßen wir noch bis spät in der Nacht zusammen, aber langsam treten wir etwas kürzer“, sagt Lieselotte Goltz.

Heike Kampe

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })