MEINE Woche: In der Parallelwelt

Hier: Potsdam. Bewölkt. Ich sitze in meiner Wohnung und starre vor mich hin, weil ich für eine Linguistikprüfung lernen muss. Ich studiere Germanistik und Anglistik an der Uni Potsdam. Mein Blick fällt auf die schwarz-rote Keltenfahne, die seit Sonntagabend die Wand über meinem Bett schmückt. Die habe ich am Wochenende auf dem Metal-Markt in Wacken gekauft.

Dort: Wacken! – Das ist nicht nur ein Festival. Das ist eine ganze Parallelwelt die ihre eigene surreale Gültigkeit besitzt. Dort endet das Jahr und dort fängt es wieder an, dort feiern wir das größte Fest der Menschheit, dort frönen wir unserer Gott-gegebenen Blasphemie. Die einzigen Dinge die dort zählen sind Oropax, Bier und Musik. Geschlafen wird natürlich im Auto. Nur die Bourgeoisie stellt Zelte auf. Zum Frühstück gibt es Bier und Kaffee. Nach der kollektiven Morgenhygiene stolpere ich gemeinsam mit meinen 70 000 Freunden aus aller Herren Länder zur Weide und lass mir bei 120 Dezibel von der irischen Pagan Metal Band Primordial die letzten Schlaffalten glatt bügeln. Ein paar Filmrisse später stehen schon die Musiker von Ensiferum auf der Bühne und wieder wird klar: Finnen beherrschen die Folk Metal Szene! Die Heiden auf der anderen Seite der Bucht werden wohl noch ein paar Kirchen niederbrennen müssen, bis sie ausgeknobelt haben warum der Sänger Petri Lindroos in seinem Fellröckchen für mich der wahre Berserker-König ist. Wacken! Dort spreche ich eine andere Sprache, dort lebe ich ein anderes Leben, dort bin ich Mensch, dort darf ich sein!

Hier ist es erst fünf Tage her, trotzdem kommt es mir wie eine Ewigkeit vor. Hier bin ich zurück in der Zivilisation, zurück im Hochdeutsch. Mein Leben wird wieder vom Lernen, Arbeiten und Wäsche waschen dominiert – denn das sind hier meine wahren schwarzen Messen des Alltags. Bis zum nächsten Jahr. Dort. In Wacken.

Silvana Conrad ist 24 Jahre alt. Sie wohnt und studiert in Potsdam.