Potsdamer Professoren in Kabul: In der Stunde null
Potsdamer Professoren helfen beim Aufbau von Verwaltungs-Studiengänge in Afghanistan. Ein Besuch.
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Die Zeit läuft. Ende des Jahres ziehen die internationalen Truppen aus Afghanistan ab, mehr als zehn Jahre seit dem Einmarsch nach den Anschlägen vom 11. September. Ob sich das Land anschließend stabilisiert oder im Chaos versinkt, hängt von vielen Faktoren ab – nicht zuletzt von einem funktionierenden Staat. Einen Beitrag zu diesem Funktionieren leistet auch Potsdam – genauer gesagt zwei Potsdamer Professoren.
„2011 wurden wir von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit angesprochen“, erinnert sich Harald Fuhr, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik an der Uni Potsdam. Der Auftrag: Er und seine Kollegin Julka Jantz sollten dabei helfen, den Studiengang Verwaltungswissenschaften an der Balkh-Universität in Mazar-e-Sharif aufzubauen. Afghanische Studenten sollten dort für den höheren Staatsdienst ausgebildet werden – ein Novum in Afghanistan. „Als wir anfingen, war dort die Stunde null – oder besser gesagt minus zehn“, erinnert sich Fuhr. Bis dahin gab es in Afghanistan lediglich eine Art Trainingsprogramm für Verwaltungsmitarbeiter, jedoch keine universitäre Ausbildung. Das Auswärtige Amt erkannte den Mangel und sagte 2012 die Finanzierung mit 15 Millionen Euro zu.
Die Resonanz in Afghanistan war gut. Sogar so gut, dass noch während der Vorbereitungsphase vier weitere Unis Interesse anmeldeten. Auch die Hochschulen in Herat, Jalalabad, Kunduz und der Hauptstadt Kabul wollten von den deutschen Professoren profitieren. Seitdem fliegen Harald Fuhr und seine Kollegin zweimal im Jahr nach Afghanistan. Mit den Dekanen der neu gegründeten Fakultäten sprechen sie über didaktische Methoden und helfen bei der Entwicklung eines Lehrplans. „Das wissenschaftliche Arbeiten, das Hinterfragen von Fakten und ein kritisches Verhalten der Politik gegenüber sind viele Afghanen noch nicht gewöhnt. Viele erwarten, dass die Wissenschaft ihnen sagt, was sein soll – aber die Wissenschaft ist ja vielmehr ein analytisches Werkzeug. Sie soll helfen, die Realität zu verstehen“, sagt Fuhr.
Arbeitssprache zwischen deutschen und afghanischen Kollegen ist Englisch, und auch für die Studenten sind Englisch-Kurse Teil des Pflichtprogramms. „Aber nicht, um sie sozusagen westlich zu trimmen, sondern weil Englisch nun mal die Wissenschaftssprache ist. Zur Zeit der Preußen-Könige war Französisch das Fenster zur Welt, heute ist es Englisch“, sagt der Potsdamer Professor.
Angst, nach Afghanistan zu reisen, habe er nicht, sagt Fuhr, der schon viel in der ganzen Welt unterwegs war. In Kabul würden sie von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gut betreut, hätten einen Fahrer und eine sicherer Unterkunft. In Mazar-e-Sharif oder Herat sei die Sicherheitslage ohnehin besser und man könne sich frei bewegen.
Dass gerade eine deutsche Universität und nicht etwa eine amerikanische beim Aufbau des Studiengangs hilft, hat wohl auch mit dem guten Image deutscher Verwaltungen zu tun. „Viele Entwicklungsländer kommen auf Deutschland zu, weil sie unser Verwaltungssystem attraktiver finden als das angelsächsische“, sagt Fuhr. Allerdings sei keineswegs das Ziel, aus dem afghanischen Verwaltungsmitarbeiter ein Ebenbild des deutschen Staatsbeamten zu machen.
Das sagt auch Andreas Glodde von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Er lebt und arbeitet in Kabul und ist einer der Koordinatoren des Projekts. „Wir wollen den Afghanen nicht das deutsche Verwaltungssystem beibringen. Sie müssen ihren eigenen Weg finden, wir können nur dabei helfen, herauszufinden, wo die kritischen Punkte sind“, sagt er. Das Interesse des deutschen Staates daran ist für ihn ganz klar. Nicht nur die Sicherheit, sondern auch das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Strukturen sei essenziell für die Stabilität eines Landes.
Dass die GIZ ausgerechnet die Potsdamer Professoren um Unterstützung gebeten hat, sei kein Zufall, sagt Glodde. „Die Potsdamer Universität ist eine der führenden auf dem Gebiet der Verwaltungswissenschaften.“ Dass die Professoren sich dafür bereit erklärt hätten, habe ihn positiv überrascht. „Afghanistan ist ja kein Land, wo man einfach mal so hinfliegt.“ Auch die Afghanen, die großen Wert auf persönliche Kontakte legten, schätzten dies sehr, sagt Glodde. „Viele internationale Berater kommen und gehen, aber die Potsdamer sind regelmäßig hier und koordinieren das nicht nur vom Schreibtisch aus. Das schafft Vertrauen.“
Das Interesse an dem neuen Studiengang sei riesig, sagt der GIZ-Mitarbeiter. Das liege nicht zuletzt an der rasant steigenden Zahl von Schulabgängern. 2010 waren es noch 100 000 jährlich, mittlerweile sind es 600 000. „Wenn man zehn Jahre lang Schulen baut, ist es ja nur logisch, dass die jungen Menschen irgendwann auch an die Unis strömen.“
1400 Verwaltungswissenschaftsstudenten gibt es in Afghanistan mittlerweile, 2015 könnten die ersten ihren Abschluss machen. Besonders erfreulich ist auch für die GIZ der hohe Frauenanteil – unter den Dozenten, aber auch bei den Studenten. In Mazar-e-Sharif und Herat liegt der Anteil der Dozentinnen bei rund 50 Prozent, von den Studenten ist etwa ein Drittel weiblich. In Kabul und in Dschalalabad nahe der Grenze zu Pakistan sind die Werte etwas niedriger.
Vor ein Problem stellt die Organisatoren des Projekts momentan noch die akademische Ausbildung der Dozenten. Die meisten haben selbst nur einen Bachelor-Abschluss, nur wenige einen Master, niemand den Doktorgrad. Parallel zu ihrer Lehrtätigkeit sollen sie nun selbst weiter ausgebildet werden, einige machen demnächst ihren Master in Südkorea, in Japan oder im Iran, wie Glodde sagt.
Aber er ist zuversichtlich, dass auch dies sich fügen wird. Eine Zuversicht, die er von den Afghanen gelernt hat, wie er sagt. „Es gibt immer eine Lösung, das lernt man hier“, sagt er lachend. „Während man als Deutscher denkt: B kann noch nicht gehen, weil A nicht funktioniert, sind die Afghanen schon längst bei D.“
2014 läuft das Projekt aus, bis dahin soll ein neuer Universitätskomplex in Mazar-e-Sharif gebaut und die Dozenten weitgehend eigenständig arbeiten können. Ob der afghanische Staat dann – auch mithilfe der künftigen Verwaltungskräfte von den neuen Fakultäten – funktionieren wird, weiß keiner. Der Potsdamer Professor Harald Fuhr ist aber guter Dinge, dass es gelingt. „Natürlich wird es auch dann noch Korruption, Drogenhandel und rechtsfreie Räume in Afghanistan geben. Aber die Afghanen wollen Sicherheit und Lebensqualität. Sie wollen nicht hinter das zurückfallen, was sie jetzt haben.“
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