Von Guido Berg: In der „Tradition des Visionären“
Heute vor einem Jahr starb der Potsdamer Architekt Moritz Kock beim Absturz des Air-France-Fluges 447
Stand:
Gefragt, ob denn der Architekt Moritz Kock schon da sei, antwortete 2005 ein Arbeiter auf der Baustelle für das Potsdamer Volkswagen Design Center: „Wenn er da ist, werden Sie ihn erkennen. Er überragt alle.“
Der Mann hatte recht. Aber Kocks Erscheinung war weniger von seiner Körperlänge als von einer Erhabenheit geprägt, die von einer inneren Freiheit zeugt, zu der heute nur noch wenige finden. Für einen Mann mit Projekten auf mehreren Kontinenten wirkte er ausgesprochen ungehetzt. Er schien Herr über seine Zeit zu sein und Wert darauf zu legen, zu einem Verständnis mit seinem Gegenüber zu gelangen. Dass er, ohne VW zu fragen, einen Journalisten gar nicht über die Baustelle hätte führen dürfen, kümmerte ihn nicht. Er nahm sich die Freiheit und managte hinterher gelassen den Ärger.
Dass das Schicksal ausgerechnet so einen derart abrupt ausbremst und ihm die Freundschaft aufkündigt, das ist es wohl, was die, die ihn kannten, am stärksten irritiert. Felsen trotzen der Brandung, sie gehen nicht einfach unter. Und doch: Heute vor einem Jahr, am 1. Juni 2009, ist der Architekt Moritz Kock 54-jährig bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.
Fernanda Kock hatte zunächst gehofft, ihr Mann könnte schon mit der 17.20-Uhr-Maschine von Rio de Janeiro nach Paris geflogen sein. Er hatte umbuchen wollen, nahm dann aber doch den regulären Flug, 19.20 Uhr ab Airport „Antônio Carlos Jobim“. Zweifel gibt es nicht. Er stand auf der Passagierliste des Air-France-Fluges 447 und kurz vor dem Start telefonierte er noch mit seinem Sohn. Fernanda Kock: „Als einen Tag später nur wenige Wrackteile gefunden wurden, konnten wir uns ausrechnen, dass niemand überlebt haben kann.“ Rettende Inseln gibt es im Absturzgebiet nicht.
Von den 228 Insassen wurden die Leichen von 51 Menschen geborgen. Moritz Kock ist nicht darunter. Erst im Januar dieses Jahres wird er amtlich für Tod erklärt. Vor wenigen Wochen scheiterte der vierte Versuch, wenigstens den Flugschreiber der Air-France-Maschine zu finden. Die Ursache des Absturzes ist ungeklärt. Statt einer gab es drei Trauerfeiern, in der Potsdamer Friedenskirche, an seinem Wirkungsort München und am Sitz der Stiftung zu Ehren seines Vaters, des Bildhauers Hans Kock in Kiel. Eine Antwort auf die Frage nach seiner Gelassenheit könnte das sichere Fundament sein, auf dem Moritz Kock stand: Sein Vater ist ein international renommierter Künstler der Nachkriegszeit. Sein Ur-Großvater mütterlicherseits war Hans Olde, der gemeinsam mit Henry van de Velde und Harry Graf Kessler die künstlerischen Grundlagen des Bauhauses schuf – der Avantgarde der klassischen Moderne in Kunst und Kultur schlechthin. Es ist nicht so, dass aus Moritz Kocks eigenem Schaffen das Bauhaus sofort ins Auge springt. Das hätte er abgelehnt, ein Wiedergänger seiner eigenen Vorfahren zu sein. Auch wollte er kein Wiedergänger seiner großen Potsdamer Vorbilder Knobelsdorff, Persius und Schinkel sein: „Unsere Aufgabe besteht nicht darin, nachahmend etwas schon Vorhandenes in die Zukunft zu verlängern“, sagte Moritz Kock in einem PNN-Interview genau ein Jahr vor seinem Tod. Es gelte, „eine Tradition des Visionären fortzusetzen. Große Kunstwerke zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen die zukünftige Wirklichkeit schon lebendig ist. In ihnen kann man erkennen, was für die Entwicklung in der Zukunft unverzichtbar sein wird. Und wenn die Zukunft dann eingetreten ist, Gegenwart geworden ist, und Sie blicken zurück, dann werden Sie ihre eigene Gegenwart nicht verstehen können, ohne diese Kunstwerke gekannt zu haben.“ Sätze wie diese fallen einem nicht einfach ein, sie sind Produkte einer intensiven Auseinandersetzung mit der Frage, wie die eigene Formensprache aussehen könnte und wie man zu ihr gelangt. In diesem Ringen darum, die „Tradition des Visionären“ fortzusetzen, war Kock nicht allein. Seine Frau Fernanda Kock, die Malerei und Grafik studierte, und sein Büro-Partner und Freund Klaus Lünz sind Weggefährten und Gesprächspartner über Jahrzehnte. Beide und weitere 13 angestellte Architekten führen das Ingenieurbüro Kock & Lünz in Potsdam fort. Ein Gewerbebau am Parkhaus der Schiffbauergasse, noch ein Entwurf Moritz Kocks, steht vor der Realisierung. Auch der Umbau des Karl-Liebknecht-Stadions in Babelsberg wird von Kock & Lünz betreut. Auch die künftige Formensprache von Kock & Lünz ist stark an Moritz Kock gebunden, versichert Klaus Lünz. Das bedeutet konkret, dass eine Fassade etwas Gesichtshaftes haben sollte, dass ein Gebäude einer „begehbaren Plastik“ gleichen sollte, dass das, was man sieht beim Blick aus dem Fenster nichts Zufälliges sein sollte, sondern etwa ästhetisch Ansprechendes, dass sich die Menschen, die in dem Haus leben und arbeiten, darin entfalten können.
Die Formensprache Moritz Kocks lässt sich heute noch nicht auf den Punkt bringen. Das ein gutes Zeichen. Denn die Zukunft, für die Moritz Kock baute, ist noch nicht Gegenwart geworden. Moritz Kock war ein Idealist, wie viele Künstler es sind. Es liegt eine besondere Tragik darin, dass sein Flug nach Rio ein Arbeitsbesuch bei Oscar Niemeyer war, zu dessen Bad-Entwurf für den Potsdamer Brauhausberg Moritz Kock die Ausführungsplanung machte. Niemeyers Bad in Potsdam zu bauen hätte für Moritz Kock bedeutet, die Architektursammlung Potsdams zu vervollständigen. Fernanda Kock zufolge hätte es ein bedeutendes Gebäude des 21. Jahrhunderts werden können. Moritz Kock selbst im Interview: „Sein Schwimmbad hätte über die reine Funktion hinaus einen herausragenden kulturellen Wert, weil es das Werk eines weltberühmten Architekten ist, der als Künstler die Träume teilt, die viele Menschen mit der kommunistischen Idee und der Gründung der DDR verbunden haben.“ Selbst Fernanda Kock, deren Ur-Ur-Großtante niemand Geringeres als Königin Luise von Preußen war, unterscheidet zwischen dem real gescheiterten Kommunismus und den sozialen Träumen, die einst mit ihm verbunden waren. Sie und er, Fernanda und Moritz Kock, haben in München zusammen Philosophie studiert, „da hat man einen anderen Ansatz als etwa ein Betriebswirt“, bekennt sie.
Fernanda Kock ist gestern zu einer Gedenkfeier nach Paris abgereist. Für sie, für ihre Tochter, für ihren Sohn, brachte der zeitliche Abstand von einem Jahr nur wenig Trost. Geholfen hat die wahrhaft tief empfundene Anteilnahme vieler. Aber: „Wir kämpfen immer noch.“ Die Hinterbliebenen der 28 deutschen Opfer planen eine gemeinsame Gedenkstätte für die, die der Atlantik nicht mehr hergab. Wo das sein wird, ist noch nicht entschieden. Fernanda Kock könnte sich vorstellen, dass es nicht weit entfernt ist vom Meer.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: