Landeshauptstadt: In der Uliza Zentralnaja
Ehemaliges Militärstädtchen Nr. 7 ist wieder zu einer Potsdamer Nobelwohngegend geworden
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Nauener Vorstadt - Ein Häftling wird in die Kapelle des Augustastifts geführt, die als Gerichtssaal des Sowjetischen Militärtribunals dient. Wachen des nahe gelegenen Untersuchungsgefängnisses blicken gelangweilt hinterher. Auf der anderen Straßenseite spielen im Mirbachwäldchen, das zu einem Sportgelände umfunktioniert worden ist, Soldaten Volleyball ...
In die Zeit des Militärstädtchens Nr. 7 führte kürzlich ein Urania-Rundgang mit Renate Jung. Schon am 3. Juni 1945, vor der Potsdamer Konferenz der Alliierten im Schloss Cecilienhof, hatten die Besatzer das Gebiet am Neuen Garten beschlagnahmt und die Bewohner vertrieben. Am 11. August 1945 übernahm die Westeuropazentrale des sowjetischen Geheimdienstes das 16 Hektar große, mit Villen und Landhäusern besetzte Terrain am Welterbepark und gab es erst am 22. August 1994 wieder frei.
Spuren dieser fast ein halbes Jahrhundert währenden Nutzung konnte Renate Jung auf ihrem Rundgang an zahlreichen Stellen zeigen. Ab der Bushaltestelle Am Neuen Garten ist die Mauer zum Park weiß gestrichen – hier lag der mit einem Wachturm ausgestattete Haupteingang zum „verbotenen Städtchen“, das mit Läden, Dienstleistungseinrichtungen, Gaststätte, Kulturhaus und Bibliothek wirklich ein komplettes Städtchen war. Informationen erhielten die Geheimdienstsoldaten durch einen großen Betonaufsteller, der halb verfallen gegenüber dem inzwischen zur Wohnanlage mit 44 Eigentumswohnungen umgewandelten Augustastift noch immer steht.
Hinter dem Mirbachwäldchen erhebt sich ein übrig gebliebener „Russenblock“. Während die Offiziere in den Villen und Landhäusern wohnten, wurden solche Blocks als Unterkunft für die einfachen Soldaten gebaut. Der Alteigentümer, dem nach Rückgabe des Grundstücks der Abriss verweigert wurde, hat das Beste aus dem nüchternen Gebäude gemacht, es hinter dem Grün der Bäume versteckt und zu Wohnungen ausbauen lassen. Bewusst wurde dagegen in der Villa Quandt an der Großen Weinmeisterstraße – bis 1994 Uliza Zentralnaja – die Sauna mit Tauchbecken als Zeugnis der Alltagskultur der russischen Offiziere erhalten. Im einstigen Wohnsitz des Hohenzollernprinzen Oskar von Preußen, in den letzten Jahren als Domizil für das Fontane-Archiv und das Brandenburgische Literaturbüro saniert, saß in der Besatzungszeit die Verwaltung des Militärgerichtes.
Nicht weit entfernt setzt das Haus Leistikowstraße 1 mit seiner zwar reparierten, aber nach wie vor absichtlich hässlich in Schwarzbraun gehaltenen Fassade einen Kontrapunkt. Hier warteten, gefoltert und geschlagen, ab 1946 in den Kellerzellen insgesamt etwa 1000 Häftlinge auf ihr Urteil.
Aus meist völlig nichtigen Gründen schickte sie das Militärtribunal in den Tod oder in langjährige Verbannung, meist ins sibirische Kohlebergwerk Workuta. Als Eigentümer hat der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein das ihm in den 1990er Jahren abrissreif rückübertragene ehemalige Pfarrhaus erhalten und so seinen Ausbau zur Gedenkstätte ermöglicht, der Ende des Jahres abgeschlossen werden soll.
Dem Hilfsverein gehörten in der Leistikowstraße, damals Mirbachstraße, mehrere Villen, aus deren Mieteinnahmen er seine Tätigkeit mitfinanzierte. Nach der Rückübertragung in den 1990er Jahren musste er die stark verfallenen Gebäude an Privatinvestoren verkaufen, da er die Sanierungskosten nicht aufbringen konnte. Wie Renate Jung verriet, zählte zu den Käufern auch der Fernsehmoderator Günther Jauch. Im Eigentum des Vereins blieben die künftige Gedenkstätte und der daneben liegende, heute vom Hort der Evangelischen Grundschule genutzte Bau.
Nach dem Intermezzo als Militärstädtchen Nr. 7 ist das Viertel wieder zu einer noblen Wohngegend geworden, die sich nur wenige leisten können. Nur eins ist anders: An der Straße Am Neuen Garten haben einige Eigentümer die Vorderhäuser vermietet und sind selbst in die Hofgebäude gezogen, wo einst die Kutscher und Bediensteten untergebracht waren. Grund ist das nach wie vor grauenhaft holprige und lärmintensive Kopfsteinpflaster der Fahrbahn, über die neben Touristenbussen auch der Linienbus 692 verkehrt.
Mittlerweile verschwunden sind die Transparente „Hier wird wieder hergestelltes Welterbe erneut zerstört“. Offensichtlich haben die Eigentümer die Hoffnung aufgegeben, dass die Stadt die Straße instand setzen lässt und flicken die durch die Erschütterungen entstehenden Risse an ihren Häusern immer wieder aus.
Erhart Hohenstein
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