Aus dem GERICHTSSAAL: „In der Untersuchungshaft war es ziemlich schlimm!“
Trotz Bewährung neue Straftaten begangen und Verhandlungstermin geschwänzt / Gericht: Letzte Chance
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Drei Wochen Untersuchungshaft haben Tobias T.* (20) geläutert. „Es war ziemlich schlimm, eingeschlossen zu sein, ohne Buch, ohne Fernsehen“, erzählt der junge Mann, der zum Prozess direkt aus dem Gefängnis vorgeführt wird. Weil ihn die Zeit hinter Gittern sehr beeindruckt hat, gibt das Jugendschöffengericht dem unter Bewährung Stehenden eine letzte Chance. Es verurteilt Tobias T. wegen Verwendens von Nazisymbolen und unbefugten Gebrauchs eines Fahrrades zu einer Jugendstrafe von zehn Monaten, ausgesetzt zu zweijähriger Bewährung. Er muss 80 Stunden gemeinnützig arbeiten und an einem Antiaggressionstraining teilnehmen. In diese Entscheidung wird eine Sanktion aus dem vorigen Jahr wegen versuchten Raubes und Körperverletzung einbezogen.
Die neuesten Straftaten des Potsdamers sollten ursprünglich schon früher verhandelt werden. Doch Tobias T. schwänzte den Termin. Das Gericht erließ Haftbefehl. Am 25. Januar klickten die Handschellen. Jetzt sitzt er mit verschränkten Fingern und gesenktem Blick auf der Anklagebank, redet nuschlig und schnell. „Na klar habe ich das Rad meiner Nachbarin am 24. Mai 2009 genommen. Ich musste mal kurz weg und dachte, die paar Minuten fallen keinem auf “, gesteht er freimütig, rutscht kurz in alte Verhaltensmuster. „Es war ja auch nicht angeschlossen.“ Die Besitzerin versichert im Zeugenstand allerdings, ihr Veloziped ordnungsgemäß gesichert zu haben. „Als es wieder da stand, war der Lack zerkratzt, aber nicht sehr schlimm“, berichtet sie. „Tut mir leid“, erklärt Tobias T. Sieg-Heil-Rufe am 26. September vorigen Jahres bestreitet er allerdings energisch. Die Polizeibeamten, die an jenem Nachmittag unmittelbar vor einer Gruppe junger Leute in der Heinrich-Mann-Allee liefen, hörten die Parole mehrfach und mehrstimmig. Vor Gericht können sie sie dem Angeklagten nicht zweifelsfrei zuordnen. Ein Kumpel belastet Tobias T. allerdings erheblich. „Ich fand das ziemlich dreist von ihm. Aber ich weiß nicht genau, ob er Sieg Heil oder Hieg Seil gerufen hat. Es gilt unter Jugendlichen als Spaß, die Anfangsbuchstaben auszutauschen.“ „Beides sind keine schweren Straftaten. Schwerwiegend ist, dass der Angeklagte sie während einer laufenden Bewährung begangen hat“, stellt der Staatsanwalt klar. Die Vorsitzende des Jugendschöffengerichts ergänzt: „Ich habe während der Bewährungszeit vier Wochen Beugearrest gegen den Angeklagten verhängt, weil er gegen sämtliche Auflagen verstoßen hat.“ Verteidiger Hans-Jürgen Kernbach gibt zu bedenken, sein Mandant habe entscheidende Lehren aus der Inhaftierung gezogen und wolle sein Leben nun endlich auf die Reihe bekommen. (*Name geändert.)Hoga
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