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Film über Enfant terrible und Technologiekritiker Joseph Weizenbaum von der FH vorgestellt

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„Die Menschheit hat keine 100 Jahre mehr!“ Drastische Worte für einen 84-Jährigen, der als einer der Urväter des Computers zur lebenden Legende wurde. Joseph Weizenbaum, Mathematiker, Guru vieler Informatiker und Vater von „Eliza“, jenem legendären Programm das 1966 erstmals eine simple Art von Kommunikation mit einem Computer ermöglichte.

Als Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) war er maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des „ARPA“-Netzes, einem Vorläufer des Internet. Doch wer ist dieser Mann, der sich weniger als Wissenschaftler denn als prononcierter Gesellschafts- und Technikkritiker in die Herzen von Millionen Fans schrieb? Peter Haas und Silvia Holzinger, zwei in Wien lebende junge Regisseure, gingen dieser Frage in ihrem Dokumentarfilm „Weizenbaum. Rebel at Work“ nach. Gemeinsam mit ihrem „Hauptdarsteller“ präsentierten sie das Werk am Dienstag im bis auf den letzten Platz gefüllten Filmmuseum.

Kindlich wach lugen hinter einer runden Hornbrille die Augen aus einem viele Jahre Leben spiegelnden Gesicht. Eigentlich wollten die beiden einen Film über die Träume und Visionen der „Softwaregroßväter“ machen, doch entstanden ist, nicht nur wegen ausgebliebener Förderung, das intime Portrait dieses kritischen Zeitgeistes. Über Wochen gehörten sie quasi zur Familie, haben mehr als 35 Stunden gedreht. Im Mittelpunkt ein Mann, der sich selbst erzählt.

Von den Erfahrungen als Kind eines jüdischen Kürschners im Berlin der 20er Jahre, der mit seinen Eltern Nazideutschland 1936 verlassen musste und in die USA kam. Die fremde Welt für ihn ein großes Abenteuer. Er gehörte zu jenen, die die ersten primitiven „Computer“ bauten, als man noch schrauben und löten musste. Nach einer Karriere bei General Electric mit bahnbrechenden Computerentwicklungen bekam er 1963 den Ruf ans MIT. Im Film lebt diese Zeit durch Sequenzen aus heute absurd wirkenden US-Werbe- und Propagandafilmen wieder auf.

Eine wunderbare Zeit, wie er sich heute gern erinnert. Noch ganz ohne Copyright-Zwänge hätte man sich damals mit Kollegen austauschen können. Und dann die unglaublichen finanziellen Spielräume! Geld habe in einer Zeit des technologischen Wettrüstens mit den Sowjets keine Rolle gespielt. Er habe seine Karriere Stalin zu verdanken, so Weizenbaum augenzwinkernd. Doch wo ist der Bruch? Weshalb wird ausgerechnet er zum großen, streitbaren Kritiker?

Der Film bleibt die Antwort darauf etwas schuldig. Man erfährt wenig über Weizenbaums wissenschaftliche Karriere und das, was ihn zur Kultfigur werden ließ. Man ahnt es dann, wenn er mit Witz und Schlagfertigkeit diskutiert und eindringlich seine Sorgen über die Zukunft in aufrüttelnde Worte packt. Blinde Wissenschaftsgläubigkeit treibt ihn ebenso zur Wut wie Gleichgültigkeit. „Wir leben in der dunkelsten Zeit der Geschichte.“ Dass das ausgerechnet jemand sagt, an dessen Biographie die überwundenen Abgründe des 20. Jahrhunderts deutlich werden, mag irritieren. Doch es geht ihm nicht nur um das bloße Überleben der Menschheit, sondern um ein „Überleben mit Lebensqualität“.

Weizenbaum wäre wohl aber nicht Weizenbaum, würde er seinen Pessimismus nicht auch ein Stück relativieren. Die Frage eines Studenten, ob er „morgen noch zur Uni gehen“ solle, beantwortet er mit einem klaren Ja! Kritisches Denken mit einer guten Portion Skeptizismus sei äußerst wichtig. Ansonsten könne man die Welt gleich den „anderen“ überlassen. Weizenbaum gibt selbst ein gutes Beispiel für die zuletzt sterbende Hoffnung. Nicht nur erfreut er sich einer großen Familie, er lebt seit zehn Jahren wieder unweit seines Elternhauses in der Stadt, aus der er einst vertrieben wurde. Carsten Dippel

Carsten Dippel

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