Landeshauptstadt: In dünne Filmhaut gebrannt
Das Babelsberger Unternehmen Gerhard Lehmann AG untertitelt bis zu 3000 Filme im Jahr
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Es rattert, dröhnt und knistert. „Laser in Betrieb“ steht zur Warnung auf einem gelb-schwarzen Schild an der schweren Tür zum Kellerraum. Ein Projektor wirft Filmszenen an die grob gemauerte Wand. Stummer Dialog zwischen zwei Teenagern. Dann plötzlich löst sich ein Teil des unteren Bildrandes auf und schreibt Buchstaben: „Didn’t I tell you?“ brennt der gleißend grüne Lichtpunkt in die dünne Filmhaut.
Im Keller der auf zwei Etagen verteilten Gerhard Lehmann AG auf dem Babelsberger Gewerbe-im-Park-Gelände werden Filme und Videos untertitelt. Im langen Flur zu den Büroräumen bilden gerahmte Kinoplakate eine Flucht. Rund 3000 Filme untertitele sein Unternehmen im Jahr, sagt der Firmengründer. Er sei auf dem deutschen Markt mit seiner Angebotspalette nahezu konkurrenzlos und gelte deshalb in China – einer seiner Hauptauftraggeber – als „bekanntester Deutscher“. Zumindest habe ihm das ein chinesischer Geschäftspartner so übermittelt.
Im Nebenzimmer des Laserraums riecht es nach Seifenlauge. Das breite Band aus Zelluloid ist in mehrere Rollen und Röllchen eingespannt und wird durch Blasen werfendes Wasser gezogen. In der ungewöhnlichen Waschmaschine werden die Überreste des Brennvorgangs abgespült und der Film getrocknet. Jede einzelne Filmkopie muss dieses Prozedere durchlaufen. Einmal gelasert, sind die Worte unauslöschlich in die Filmschicht eingebrannt. Vor dem Brennen, Waschen, Föhnen liegen aber noch einige andere Arbeitsschritte.
Am Anfang ist der Film – mit Originalton. Und das Textbuch. Das wird einem der über 300 Übersetzer zugesandt, die für das Untertitelungsunternehmen als freie Mitarbeiter tätig sind. Dabei sei nichts unmöglich, erklärt Gerhard Lehmann und lässt beiläufig fallen, dass man auch schon Dialoge aus dem Wolof und dem Rongelap übersetzt und untertitelt habe. Damit mache er immer Eindruck, sagt der Geschäftsmann nach einer Kunstpause. Wolof spreche man im Senegal, wo es einen Filmemacher gebe, der so etwas wie internationale Bekanntheit genieße. Und Rongelap stamme von einer gleichnamigen Insel im Bikiniatoll, klärt Lehmann auf.
An der Tagesordnung sind bei ihm im Haus natürlich eher Übersetzungen aus gängigen Sprachen. Für die Untertitel, also das geschriebene Wort, müssten die Dialoge vereinfacht und so in die Zeilen gesetzt werden, das die Sinneinheiten zusammenbleiben. Die Texte werden in den Computer eingegeben und im klimatisierten Maschinenraum mit dem Bildmaterial zu einer Arbeitskopie zusammengefügt. Die schauen sich dann Lektoren an und kontrollieren, ob der Inhalt des Film mit Untertitel verständlich ist. „Bei uns kann man den ganzen Tag Filme gucken und dabei Geld verdienen“, scherzt das Vorstandsmitglied. Rund 20 feste Mitarbeiter hat er überzeugt. Sie sitzen vor Monitoren im Lektorat oder in der Regie oder kontrollieren Brenn- und Waschprogramm. Dank universellem Computerprogramm sind alle Sprachkreuzungen möglich: Polnischer Film mit chinesischem Untertitel zum Beispiel oder der senegalesische Blockbuster mit englischer Verständigungshilfe.
Mit Vorbereitung und Zubereitung brauchte man für einen Film zwei, drei Wochen, sagt Gerhard Lehmann. In Hochzeiten wie der Berlinale müsste es manchmal auch ein bisschen schneller gehen. Insgesamt habe sein Unternehmen 40 Filme auf dem diesjährigen Filmfestival gehabt, acht davon im Wettbewerb, von denen fünf einen Preis bekamen. Nicht, dass das an den Untertiteln gelegen hätte, beschwichtigt er. Und doch gibt ihm das Ergebnis das Gefühl von guter Arbeit.
In einem Fall wurde es sogar richtig eng. Noch kurz vor der Premiere seines Berlinale-Beitrags hatte ein Regisseur das letzte Kapitel umgeschrieben. Die fünf untertitelten Filmrollen waren schon fertig und pünktlich zur Vorführung abgeliefert worden, als der Änderungswunsch kam. Die neue Version wurde in Windeseile gesichtet, ins Englische transferiert und in den Rechner gehackt. Während der Zelluloidstreifen die Waschanlage in Babelsberg durchlief, legte der Vorführer in Berlin gerade die vierte Filmrolle ein. Schnell trocknen und per Kurier in die Hauptstadt. Zeitgenau als der letzte Meter der vierten Spule durch den Projektor gezogen wurde, reichte der Bote den frisch untertitelten Rest in den Vorführraum. „Das sind unsere schönsten Momente“, sagt Lehmann und atmet erleichtert aus, als hätte er den Wettlauf mit der Zeit gerade erst gewonnen.
Sein Unternehmen bietet drei Formate: Film, Video und DVD. Fernsehanstalten gehören ebenso zu seinen Auftraggebern wie große Verleiher und Produzenten. Als sich der gebürtige Berliner nach zwei Jahrzehnten Hamburg und 15 Jahren Rheinland in seiner Heimatstadt niederlassen wollte, sei er nicht besonders freundlich empfangen worden. Es schien, als sei eine solche Unternehmensansiedlung in der Hauptstadt eher lästig als erwünscht, erinnert sich Gerhard Lehmann. Der zuständige Sachbearbeiter habe ihn nur gelangweilt angeschaut: „Wissen Sie“, habe er gesagt, „vor ein paar Jahre hätte ich mich über so etwas noch gefreut.“ Danach versuchte er es in Brandenburg. Das sei wie ein Heimspiel gewesen. Bei der ZukunftsAgentur Brandenburg sei ihm ein Kontaktmann zugeteilt worden, der sich um alles gekümmert habe: Räumlichkeiten, Fördergelder, Begleitung. „Deshalb bin ich jetzt hier“, sagt Lehmann, der mit seiner Familie allerdings in Berlin wohnt.
Filme mit Untertitel sind für deutsche Zuschauer eher die Ausnahme. Wir werden mit Synchronisationen verwöhnt. „Entwöhnt“, widerspricht der Verfechter des geschriebenen Worts. In den USA würden 75 Prozent und in England sogar 90 Prozent aller Fernsehbeiträge untertitelt – auch Live-Sendungen. Das funktioniere ähnlich wie das Synchrondolmetschen. Und in Finnland lernten die Kinder deshalb so früh lesen, damit sie in der Flimmerkiste alles verstehen. Das erkläre auch das gute Abschneiden der Skandinavier bei der Pisa-Studie. „Untertiteln bildet“, stellt Gerhard Lehmann fest, der sich deshalb nicht nur als Unternehmer, sondern auch ein bisschen wie ein Bildungsbeauftragter fühlt.
Nicola Klusemann
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