Landeshauptstadt: In einem fernen Land
Der 19-jährige Carsten Simon aus der Nähe von Potsdam macht ein freiwilliges soziales Jahr in Mazedonien
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Es gibt Erlebnisse, die muss Carsten Simon einfach fotografieren. Ein solcher Moment ist dem 19-jährigen in Kavardarci passiert, der größten Weinstadt Mazedoniens. Dort konnte er alte Damen in einer kleinen Seitengasse beobachten, wie sie in einem alten Kesselofen Ajvar kochten, eine schmackhafte Creme aus getrockneten Paprika und Aubergine. „Solche Szenen geben die Atmosphäre hier wunderbar wieder: Hier ist alles offen und immer zum Besuchen geeignet – und geschenkt bekommt man meistens auch etwas.“ Bis vor einem halben Monat hat Carsten noch im „behüteten Elternhaus“ in Göhlsdorf gewohnt, einer kleinen Gemeinde zwischen Werder und Lehnin. Dass er nun solche Augenblicke erleben kann, hat ihn ein knappes Jahr Vorbereitungszeit gekostet: Er absolviert statt Wehr- oder Zivildienst ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Ausland. Seinen Platz hat er in Mazedoniens Hauptstadt Skopje bekommen. Dort arbeitet Carsten in einem Kindergarten. Noch scheint alles ein wenig neu für den Abiturienten: „Ich nutze ein Mischmasch aus französisch, deutsch, mazedonisch, englisch und viel Mimik und Gestik – man kann hier einfach nicht sicher sein, ob man verstanden wird.“ Und trotzdem lerne er ständig neue Leute kennen – und geht nach getaner Arbeit „oft feiern.“ Gestern war er in der deutschen Botschaft eingeladen.
Um so zu leben, hat sich Carsten vor einem Jahr bei den Internationalen Jugendaustauschdiensten (IJGD) in Berlin beworben, einer so genannten Entsendeorganisation. „Wir haben aus Berlin und Brandenburg rund 30 Jugendliche auf solche FSJ-Plätze vermittelt“, sagt Anne Jeglinski vom IJGD-Büro in Berlin. Zielländer seien vor allem Japan und Italien. Die Stellen seien sehr begehrt: Auf einen Platz kämen rund zehn Bewerbungen. Carsten Simon kennt sie auch: Er sei einer der wenigen Bewerber gewesen, die nach Osteuropa wollten. Leicht sei seine Platzsuche deswegen nicht gewesen. „Es gibt viele, die es nicht schaffen.“
Das liegt am Geld. Da Freiwilligendienste wegen angebotener Seminare, Fahrtkosten, Taschengeldes und ähnlicher Leistungen teuer sind, müssen die jungen Leute vorher auf Spendersuche gehen und 2400 Euro zusammenbringen. „Das ist hart, manchmal grenzt das an Betteln“, erinnert sich Carsten. Er hat Glück gehabt. Mit 1200 Euro beteiligt sich die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ an seinem Projekt. Dazu hat er beispielsweise Briefe an Politiker geschrieben. Doch wofür all der Stress? Carsten sagt, dass er seinen Horizont erweitern will, seine englische Sprache verbessern und neue Leute kennen lernen möchte. „Auch wenn das Leben hier nicht dem Standard in Deutschland entspricht, gefällt es mir hier sehr gut.“ So will er nun Land und Leute erkunden.
Schlucken musste er dennoch manchmal. „Der größte Schock war für mich, dass es oft so dreckig, rau und staubig ist – aber das gehört wohl dazu, es kümmert niemand; und ohne den Dreck wäre es nicht Mazedonien.“ Auch sein Zimmer in einer Wohngemeinschaft sei anfangs kahl und leer gewesen, doch nach ein paar Verschönerungsarbeiten „viel wärmer als zu Beginn.“ So lebt er sich nun ein, „Tag für Tag ein Stückchen mehr“. An den Wochenenden, wenn er nicht ab morgens in die Kita sein muss, reist er umher. Schlafen kann Carsten dann bei anderen Freiwilligen aus ganz Europa, die auch in Mazedonien arbeiten: „Das ist hier so geregelt, jeder kann bei jedem schlafen.“ So will er das Land kennen lernen. Vielleicht, so meint Carsten, will er nach seiner Rückkehr in einem Jahr an seinem früheren Gymnasium in Belzig einen Vortrag über seine Erlebnisse halten. Das Foto von den alten Frauen und ihrem Kesselofen in Kavardarci wird er dabei wohl auch zeigen.
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