
© Andreas Klaer
Von Guido Berg: In Geschichte erst bei Mesopotamien
Junge „Zimtzicken“ trafen Frauen von der Krim, einst Insassinnen im KZ Ravensbrück
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Irritation am Anfang. „Sie wollen eigentlich gar nicht mehr darüber reden“, sagt Rieta Mildebrath vom Fürstenberger Förderverein der Gedenkstätte KZ Ravensbrück. Der Grund: „Sie fühlen sich sehr wohl, wenn sie in Deutschland sind.“ Darum sollten ihnen, fünf Frauen von der Krim, doch lieber keine Fragen zu ihrer Zeit als Zwangsarbeiterinnen und Insassinnen des Konzentrationslagers Ravensbrück gestellt werden. Die Frauen im Alter zwischen 80 und 91 Jahren sind bereits zum sechsten Mal in Deutschland und zum sechsten Mal besuchen sie auch das Autonome Frauenzentrum in der Potsdamer Zeppelinstraße. Ihre Zuhörer sind am gestrigen Tag die „Zimtzicken“. Das ist eine Gruppe junger Mädchen, die sich aber doch sehr dafür interessiert, worüber „wir keine Fragen stellen dürfen“, wie Vera Spatz es formuliert.
Eine 86-Jährige mit einem Strohhut, die sich als Maria vorstellt, steht auf, fasst sich. Mit 15 Jahren hatte sie Malerin werden wollen, „dann brach der Krieg aus“. Sie wurde als Zwangsarbeiterin verschleppt, weigerte sich aber, in einem Rüstungsbetrieb Waffen gegen ihr Land zu bauen. Sie kam, wie ihre vier Begleiterinnen auch, ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Sie erinnert sich an die schwere Arbeit beim Straßenbau, an die Bewacher und deren Schäferhunde. Noch heute muss sie an die Nazizeit denken, wenn sie Schäferhunde sieht. Sie hatte zusehen müssen, wie diese Hunde Menschen zerrissen. An ihre Befreiung am 3. Mai 1945 kann sie nicht ohne Tränen denken. Sie weiß noch genau, welche russische Einheit sie befreite.
Marias Rede hat die anfänglichen Beklemmungen gelöst. „Krieg“, ruft eine ihrer früheren Leidensgenossinnen den Zimtzicken zu, „ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was hinter diesem Wort steckt“. Sie beginnt aufzuzählen – „aufgehängt, mit Gas ermordet“ Die Dolmetscherin kommt mit der Übersetzung nicht hinterher. Bald bricht die Frau ab und sagt nur, heute müssten alle jungen Leute, egal woher sie kommen, Freunde sein. „Alle muss gut“, sagt sie auf deutsch.
Eine andere Zeitzeugin nimmt den Faden wieder auf. Sie erzählt von dem schrecklichen Hunger, den sie litten, von Suppe mit verdorbenem Gemüse und dass sie die Würmer, die obenauf schwammen, nicht abschöpfen sondern mitessen mussten. Von Häftlingen, die erschossen wurden, weil sie es aus Entkräftung nicht schafften, zum Morgenappell anzutreten. Von medizinischen Experimenten an polnischen Mädchen, denen die deutschen Ärzte Wunden zufügten, um sie mit Wundbrand zu infizieren. Von Französinnen, die ihnen etwas abgaben, wenn das Rote Kreuz Pakete schickte. Vom sowjetischen Diktator Stalin, der alle, die im Konzentrationslager waren, als Verräter betrachte, egal unter welchen Umständen sie dahin kamen. „Ihr sollt zusammenhalten und Freunde sein“, mit diesem Appell endet auch ihre Rede.
Eine Frau, die bislang geschwiegen hatte, erzählt, sie sei aus einem Rüstungsbetrieb in Berlin geflohen. „Knorr Bremse“ heißt die Firma, die heute auf ihrer Homepage auch Angaben über die eigene Geschichte macht: „1939: 90 Prozent aller deutschen Lkw von 7-16 Tonnen mit Knorr-Bremse Geräten ausgerüstet“. Weiter sagt die Dame, es würde bisweilen berichtet, dass Amerikaner das KZ Buchenwald befreit hätten. Das stimme nicht, die Häftlinge hätten sich mit einem Aufstand selbst befreit, die Amerikaner seien erst drei Tage später da gewesen. Historiker formulieren es so: Die Selbstbefreiung erfolgte unter der Deckung von US-Panzern.
„Erzählen sie Euch in der Schule vom Krieg?“, fragt Maria die „Zimtzicken“. Eine Fünftklässlerin, die schon einmal eine KZ-Gedenkstätte besucht hat, antwortet: „In Geschichte sind wir noch ganz weit hinten – bei Mesopotamien“.
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