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Landeshauptstadt: In Potsdam hatten es Plagiate immer einfach

Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, über Werte in der Architektur und die Hoffnung auf gute Neubauten

Stand:

Herr Professor Braum, die Stiftung Baukultur bezieht am kommenden Donnerstag ihr neues Haus – ausgerechnet in Potsdam, einer Stadt, in der die Gegenwartsarchitektur einen schweren Stand hat.

Wir haben uns Potsdam nicht ausgesucht. Vielmehr haben sich Städte beworben, die uns haben wollten. Schlussendlich haben viele Beweggründe dazu geführt, dass der Bund Potsdam ausgewählt hat. Etwa die Nähe zu Berlin. Aber Potsdam hat in der Tat das interessanteste Angebot abgegeben, die Stadt stellt den Stiftungssitz an der Schiffbauergasse und finanzierte für drei Jahre über Drittmittel einen wissenschaftlichen Mitarbeiter. In der Endausscheidung hatte Potsdam gegenüber Weimar den Vorzug bekommen. Vor diesem Hintergrund bin ich übrigens froh, dass es Potsdam geworden ist: Ich habe im Anschluss noch einen Termin im Ministerium und werde trotz der vielbeschworenen Nähe von Potsdam zu Berlin eine Stunde und 15 Minuten unterwegs sein. Mit dem Rückweg sind das zweieinhalb Stunden, ein wenig mehr benötige ich, um in mein Institut an der Universität Hannover zu kommen und wieder zurück nach Berlin. Unvorstellbar, oder?

Das soll ja besser werden – nachdem es ein Jahr lang wegen Gleisarbeiten allerdings sehr viel schlechter sein wird.

Aber um auf den Kern Ihre Frage zurückzukommen: Es sollte natürlich eine Stadt sein, die baukulturaffin ist. Wir wollen in Potsdam auch mit unserem Stiftungssitz zeigen, dass es erstens ein einvernehmliches Miteinander von Vergangenheit und Zukunft gibt. Dass zweitens diese Polarisierung, wie wir sie aus Potsdam kennen – „Die Vergangenheit ist gut und die Zukunft ist schrecklich“ – vollkommen falsch ist. Wir wollen mit der Architektur Vergangenheit und Zukunft baulich in Verbindung setzen. In der Regel entsteht dabei großartige Architektur.

Ihr Stiftungssitz ist eine alte Villa mit einem modernen Aufsatz.

Das Haus ist ein vollkommen langweiliger Klinkerbau, den man, wenn es nicht die Bundesstiftung Baukultur gewesen wäre, durchaus auch durch einen Neubau ersetzen hätte können. Das Haus steht nicht unter Denkmalschutz

Das wäre eine schöne Schlagzeile geworden: „Bundesstiftung Baukultur reißt in Potsdam historische Villa ab“.

Das hätte es uns nicht einfacher gemacht. Im Wettbewerb gab es Architekten, die sagten, dieses Haus ist nicht so gut, wir bauen etwas neues. Es waren architektonisch und funktional außerordentlich gute Beiträge. Sie kamen nicht zum Zuge, weil es sich die Stiftung ein wenig schwerer machen wollte. Einen guten Neubau hinzusetzen ist bei einem Pool sehr guter Architekten, die sich in der Vorauswahl für den Wettbewerb qualifizierten, vergleichsweise einfach. Aber wir wollten in Potsdam „Flagge zeigen“ und beweisen, dass die Verbindung zwischen alt und neu etwas ist, was schon immer die Architektur geprägt hat. Entstanden ist nicht nur ein moderner Aufsatz. Jörg Springer, der Architekt, hat das Haus im Erdgeschoss und im Obergeschoss „aufgebrochen“. Er hat die Räume geöffnet, eine Decke weggenommen, um eine spezielle „Atmosphäre“ in das Haus einziehen zu lassen. Jörg Weidinger, der Landschaftsarchitekt, entwarf im direkten Bezug zu unserem Haus einen Freiraum, einen „baukulturellen Garten“, der es versteht, sich ganz selbstverständlich zeitgenössisch und nicht historisierend zu geben. Das tut Potsdam gut. Da stehen Bäume in einem Schotterbett. Wir haben Betonblöcke als Sitzbänke und eine wunderbare Beleuchtung der Bäume Hier entsteht ein besonderer Ort der Baukultur. Ich bin gespannt, wie die Fachleute reagieren.

Was ist für Sie Baukultur?

Das ist für mich ein Wert. Wenn man über Baukultur spricht, ist das eine Diskussion über Werte wie Verantwortung, Moral und Haltung. Wenn man diese Werte, wir sprechen über baukulturelle Konventionen, anerkennt, versucht man, ein Mobile auszutarieren. Baukultur ist einem Mobile vergleichbar. Ein Gebäude soll energetisch optimiert sein, ohne dass man es ihm ansieht. Es soll ökonomisch realisierbar sein, ohne dass es billig wirkt. Es soll für die Nutzer brauchbar sein, ohne dass es ein Selbstbauregal ist und es soll schön sein, am Ende sogar wieder abbaubar, ohne die Umwelt zu belasten, wenn man es nicht mehr brauchen sollte, es soll und so weiter. Es gibt die unterschiedlichsten Ansprüche. Baukultur heißt für mich, dass alle ihren Kompetenzen entsprechend das Ganze und Schöne im Blick haben, dass sie dieses baukulturelle Mobile bei jeder Bauaufgabe gemeinsam austarieren. Darüber hinaus braucht es aber auch eine Person, die ganz besondere Verantwortung übernimmt, ich nenne sie einmal Stadtbaumeister. Unsere politisch gewählten Stadtbauräte können dies nicht immer leisten, da die Parteizugehörigkeit in der Regel stärker gewichtet wird als die fachliche Qualifikation. Ein Stadtbaumeister muss etwas vom Planen und Bauen verstehen, das heißt, hier sind Architekten, Ingenieure oder Stadtplaner gefordert und keine Juristen oder Ökonomen. Ein solcher Stadtbaumeister muss moderieren können, aber auch eine baukulturelle Haltung haben. Er muss Antworten auf Fragen geben wie: Wie viel Historie brauche ich? Wie kriege ich es hin, dass ich mit Neubauten Identität schaffe? Es ist doch blanker Unsinn, dass Identität immer nur über historische Gebäude entsteht.

Das ist immer auch eine Frage des Geldes.

Ja, wenn Sie Geld in die Hand nehmen, kriegen Sie das auch bei Neubauten hin. Aber das ist das Problem: Bei Neubauten nehmen wir in der Regel wenig Geld in die Hand, immer nur bei Rekonstruktionen. Bei Neubauten liegen Anspruch und Wirklichkeit zu oft auseinander: Es ist so, dass wir schon beim Abschluss eines Bauvertrages wissen, dass wir uns gegenseitig betrügen: Der Architekt weiß, dass er es zu diesem Preis nicht schafft und der Bauherr weiß, dass er das, was er will, zu diesem Preis nicht kriegt.

Das erinnert mich ein wenig an den neuen Potsdamer Landtag.

Ja, das ist ein Beispiel dafür. Aber ich will nicht nachtreten. Hier sind die Messen gelesen und wir hoffen alle, dass der Landtag ein städtebaulicher Gewinn für Potsdam werden möge. Auch bei unserem Stiftungssitz waren der Anspruch der Beteiligten und die Wirklichkeit nach dem Wettbewerb weit auseinander. Glücklicherweise haben sich alle angestrengt und das nötige Geld aufgetrieben, damit es ein Gebäude wird, mit dem wir Baukultur darstellen können. Qualität und Anspruch haben nun mal ihren Preis.

Bei dem Mobile kommt der Wert der Schönheit zu kurz, weil für ihn in den Kalkulationen der Bauherren kein Platz ist.

Die Schönheit, die Sie ansprechen, hat es wirklich schwer. Sie hängt nicht als Teil an dem Mobile. Sondern schön ist das Mobile in seiner Gesamtheit. Die Schönheit ist die Klammer. Wir müssen gegen die Juristerei vorgehen, gegen diesen Wahn, alles zu vermessen und in Tabellen eintragen zu können. Darum sage ich: Maß halten, Verantwortung zeigen und für Wertigkeit eintreten das hätte mir mein Großvater sagen können (lacht). Aber so ist es: Wir sind die Wächter dieser Werte.

Wie kommt in Ihrem Mobile das Besondere von Potsdam zum Tragen?

Natürlich ist Baukultur auch ein Petitum gegen Globalisierung. Baukultur in Potsdam ist eine andere als in Berlin. Baukultur hat auch nichts mit eingeengten Regionalismen zu tun – aber etwas mit dem genius loci. Das ist ja der Fluch der Moderne, dass sie sich mit ihrem International Style von regionalen Bezügen entfernt und der Ökonomisierung des Bauens Vortrieb geleistet hat. Für Potsdam muss die Frage sein: Wie bekomme ich zeitgenössische Architektur hin, die an den jeweiligen Kontext anknüpft, ohne Plagiate zu schaffen?

Beschreiben Sie bitte den genius loci von Potsdam, den Geist des Ortes.

Der Reiz Potsdams ist aus dem Überfluss-Gedanken entstanden, sowohl im Gebauten als auch im Landschaftlichen. Diese ganzen Prunkbauten entstanden, weil sie sich die Herrscher leisten konnten und wollten. Potsdam war zudem eine Garnisonstadt, eine große Kaserne mit einigen Schlössern in der Kulturlandschaft. Potsdam hatte immer eine dienende Funktion: Die Stadt diente den Herrschenden. Wenn ich das in die heutige Zeit übertrage: Die Architektur, die hier entsteht, muss in Qualität, Maßstäblichkeit und den Proportionen die Geschichte fortschreiben, indem sie Antworten auf heutige Herausforderungen findet. In Potsdam hatten es Plagiate immer einfach, denken Sie an die palladianischen Villen oder an das Holländische Viertel. Im Ursprung hatten beide wenig mit dem Ort zu tun. Dies geschah erst durch die „Mystifizierung der Geschichte“. Architektur in Potsdam sollte etwas mit diesen Geschichten zu tun haben und mit dem Spiel mit der Landschaft. Bauen in Potsdam ist seit jeher von italienischen Sehnsüchten beseelt. Nehmen Sie den Palast Barberini oder Lennés Kulturlandschaft. Das heißt: Potsdam hat seit jeher eine Tradition des Fakes, die Stadt hat sich immer auch auf fremde Sehnsüchte besonnen. Die Identität von Potsdam ist, immer ein bisschen besonderer zu sein. Wenn ich das in eine zeitgenössische Formensprache bringe, ist das etwas anderes als monotone oder rekonstruierte Fassaden.

Wo kommt die Skepsis gegenüber dem modernen Bauen eigentlich her?

Da, wo Bauen in Serie geht, ist es mit Baukultur schlecht bestellt. Da ist Potsdam mit vielen Siedlungen im Umfeld „geschlagen“. Wenn ich so eine alte Stadt, die aus dem Überfluss schöpfte, dann mit so einer Typisierung stranguliere, ist es für mich nachvollziehbar, dass sich in der Bevölkerung eine Sehnsucht nach dem Alten wiederfindet. Da habe ich Verständnis den Potsdamer Rekonstruktivisten gegenüber. Den Anspruch, etwas Besonderes zu wollen, müssen wir jedoch auf das Zeitgenössische, ja Visionäre übersetzen, damit Potsdam die Erfahrung Dresdens mit seinem Neumarkt erspart bleibt. Wenn man es schafft, an die richtigen Stellen gute Neubauten hinzusetzen, dann glaube ich, wäre das Eis gebrochen.

Das Interview führte Guido Berg

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