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SAMSTAGScocktail: In Wortnot

Ich habe versucht, auf dem Bassinplatz meinem fast fünfjährigen Sohn zu erklären, wer das Land regiert. Schrecklich unverständliche Wörter kamen aus meinem Mund.

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Ich habe versucht, auf dem Bassinplatz meinem fast fünfjährigen Sohn zu erklären, wer das Land regiert. Schrecklich unverständliche Wörter kamen aus meinem Mund. Kanzler, Präsidenten, Minister, höchste, größte, ganz oben – das Kind sah mich gleichgültig an. Also habe ich das einzige Wort gesagt, das den Adressaten erreichen konnte: Königin. Kurzes Aufhorchen, immerhin. Was die Königin, die in diesem Moment ans Rednerpult tritt, sagt, interessiert einen fast Fünfjährigen naturgemäß wenig. Zumal wir nichts sehen. Wir stehen hinten, da, wo Bier ausgeschenkt und Wurst gebraten wird. Was iss’n das hier? Keine Ahnung, willste ne Curry? Keine Feindseligkeit, schließlich drückt hier niemandem wirklich der Schuh. Nur ein wenig Spott, ironische Kommentare und Pfiffe um uns herum, in den vorderen Reihen selbstverständlich heftiges Geklatsche. Mein Sohn konzentriert sich auf den Anblick der Polizisten neben uns. Das beeindruckt ihn. Weniger, dass ich mit der Königin schon mal zu Abend gegessen habe. An jenem Abend im Kanzleramt verspätete sich die Gastgeberin etwas. Sie habe, sagte sie, noch mit Netanjahu telefoniert. Die Entschuldigung ließen wir, ein Dutzend Autoren, gelten. Dann setzten wir uns an die gedeckte Tafel. Es gab panierten Fisch und hinterher Kirschen. Nun zwanglos drauflosgeplaudert! Artig erzählte ein jeder in Kurzform die Geschichte seines Lebens. Später klagte jemand über den Verfall der Rechtschreibung, ein anderer brachte das Thema Mehrwertsteuerspaltung an, ein Büchnerpreisträger sagte gar nichts (schrieb sicher insgeheim schon ein Sonett über den Abend), ein alter Schriftsteller irrte auf der Suche nach der Toilette herum. Es würde auch immer weniger gelesen, sagte noch einer. Die Gastgeberin erwiderte, das sei zu ihrer Zeit auch schon so gewesen. Ich fragte mich, welches Training sie eigentlich permanent aufmerksam wirken lässt, da fiel ihr - ich sah es genau! - eine Kirsche auf den weißen Blazer und hinterließ einen Fleck. Dann war es vorbei, herzliche Verabschiedung. Auf der Kundgebung am Montag klang es aus den Lautsprechern: Wir lieben die Menschen, weil sie verschieden sind. Mein Sohn sagte leise: Ich muss mal. Was das alles mit Politik zu tun hat? Nichts. Eben.

Unsere Autorin lebt in Potsdam. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“

Julia Schoch

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