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Landeshauptstadt: Informationschaos am Hauptbahnhof

Der längste Streik der Bahngeschichte trifft nicht nur Reisende, sondern auch Potsdamer Einzelhändler

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Innenstadt - Die Züge stehen still – und auch der Verkauf in den Potsdamer Bahnhofspassagen läuft schleppend: Von dem rund viertägigen Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) ist auch der Einzelhandel erneut stark betroffen, sagte eine Brötchenverkäuferin im Hauptbahnhof am Donnerstag. Auch im Buch- und Zeitungsladen „P&B Books“ merkt man ein streikbedingtes Umsatzloch, wie eine Mitarbeiterin sagte. Dabei sieht es im Bahnhof am ersten Streiktag auf den ersten Blick nicht einmal besonders leer aus.

Aber in den Fahrplänen herrscht Chaos – das Servicepersonal der Bahn und die Webseiten der einzelnen Verkehrsunternehmen sorgen bei den Passagieren für zusätzliche Verwirrung. Die Anzeigetafel am Hauptbahnhof listet sämtliche Zugverbindungen auf – ob diese jedoch tatsächlich aktuell sind, weiß niemand so genau. Über einen Notfallfahrplan der Regionalexpresslinie 1, eine der wichtigsten Verbindungen für Berlin-Pendler, verfügt lediglich das Servicepersonal, öffentlich liegt dieser für die Kunden nicht aus. Auch auf die zahlreichen Apps und Liveauskünfte im Internet ist nur begrenzt Verlass.

Zwar wird auf sämtlichen Plattformen über die ausfallenden Züge informiert. Wer jedoch über die direkte Schnellsuche eine Verbindung abfragt, erhält oft fehlerhafte oder nicht aktualisierte Auskünfte. So verkehrt beispielsweise die S-Bahn der Linie 1 zwischen Potsdam Hauptbahnhof und Oranienburg im 20-Minuten-Takt. Sucht man mithilfe einer App der Deutschen Bahn oder der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) nach einer Verbindung zwischen Potsdam und Berlin, wird lediglich die S-Bahn der Linie 7 angezeigt – diese fährt derzeit jedoch nur zwischen Berlin-Alexanderplatz und Berlin-Marzahn. Um vollständige Gewissheit zu erlangen, bedarf es ein paar mehr Klicks durch den Informationsdschungel – oder den direkten Gang zum Bahnhof selbst. Wer im Notfall nur noch mit dem Taxi von A nach B kommt, könne die Rückerstattung der Fahrkosten mit einem Fahrgastrechte-Formular beantragen, wie ein Servicemitarbeiter sagte.

Bei den Passagieren gibt es wenig Verständnis für den 100-Stunden-Streik: „Grundsätzlich befürworte ich das Streikrecht, aber in diesem Fall handelt es sich ganz klar um einen Missbrauch. Die GDL ist nicht mehr am Gemeinwohl orientiert“, empört sich zum Beispiel die 81-jährige Wilma Hilbert. Statt der geplanten Zugreise von Bremen nach Potsdam musste sie das Auto nutzen. Im Reisezentrum der Bahn will sie nun das Geld für die bereits bezahlte Fahrkarte wieder zurückverlangen.

Für Peter Ebert ist der Bahnstreik eine Folge mangelnden Verhandlungsgeschicks: „Der Vorsitzende der GDL hat nicht alle Möglichkeiten ausgelotet und sich hinsichtlich einer Kompromisslösung schlichtweg ungeschickt verhalten“, sagt er. Für ihn geht es bei dem Streik um Machtstrukturen in der Gewerkschaft. Dennoch: Der Reisende nimmt die Zugausfälle gelassen und bleibt optimistisch. Seine geplante Fahrt nach Konstanz will er trotzdem angehen. „Irgendwie werde ich hier schon wegkommen“, sagt Ebert mit einem Lächeln.

Spontaneität und Geduld – davon müssen Pendler jede Menge im Gepäck haben, um stressfrei durch den bisher längsten Streik der Bahngeschichte zu kommen.

Mareike-Vic Schreiber

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