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Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe startet Projekt zur Karibikforschung
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Kein einziger Schweißtropfen war auf dem Gesicht von Amir Valle zu sehen. Und das, obwohl auf dem Unicampus Golm tropische Temperaturen herrschten, jüngst zur „Karibischen Nacht“. Amir Valle, Autor aus Kuba, wirkte gelassen, als er in dem unverwechselbaren, melodiösen Spanisch der Karibikinsel seine Lesung begann. Valles sonnengelbes Sweatshirt kontrastierte mit seiner olivfarbenen Haut und dem dichten schwarzen Haar. Der Mann mit den weichen Gesichtszügen wirkte in sich gekehrt, als er das Podium betrat. Als Schriftsteller hat er eine brisante politische Vergangenheit. Seit er mit Kriminalromanen und unerwünschten journalistischen Recherchen über Prostitution die kubanische Regierung gegen sich aufgebracht hatte, lebt Valle mit seiner Familie in Deutschland: in der Fremde. Ein durchaus karibisches Schicksal, wie der Abend noch zeigen sollte.
Nach Golm war Amir Valle gekommen, weil es dort etwas zu feiern gab. Am Institut für Romanistik gibt es seit Anfang des Sommersemesters einen neuen Pol geisteswissenschaftlicher Spitzenforschung. Drei Forscherstellen werden in der Potsdamer Romanistik mit 385 000 Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Zunächst für drei Jahre. Es geht um das Verhältnis zwischen Europa und der Karibik im 19. Jahrhundert.
Dr. Gesine Müller leitet das Projekt aus dem Emmy-Noether-Programm, das Nachwuchswissenschaftlern einen Weg zu früher wissenschaftlicher Selbstständigkeit eröffnet. Promovierte Forscher erwerben durch die Leitung einer eigenen Nachwuchsgruppe die Befähigung zum Hochschullehrer.
Der Literaturwissenschaftler Ottmar Ette, an dessen Lehrstuhl die Emmy-Noether Nachwuchsgruppe arbeitet, sieht das prestigeträchtige DFG-Projekt als einen Ansiedlungserfolg für Potsdam. Aber wie die Eröffnungsfeier zeigte, freut man sich in der Romanistik nicht hinter verschlossenen Türen. Seit geraumer Zeit gilt im Uni-Leben: Wenn auf Französisch, Spanisch oder Italienisch gefeiert wird, dann kommen alle.
So zeigten die drei Forscherinnen der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe dem Publikum der „Karibischen Nacht“, wie man eine Welt der Inseln und des Meeres in einen Potsdamer Hörsaal holt: Fernweh inklusive. Wehmütig erklang zur Eröffnung die „Habanera“. Dieser kubanische Tanz, gespielt von Stephan Schardt und Malte Griesse auf Klavier und Geige, trägt all die Dinge in sich, die die Karibik für die Wissenschaftler so interessant machen. Es ist eine Geschichte voller Brüche, voller Flucht und Vertreibung. Schwarze Sklaven kamen einst über das Meer, Auswanderer fliehen nun vor Armut und Perspektivlosigkeit. Und doch gibt es eine Freude in der karibischen Musik, die Musiker von dort in aller Welt erfolgreich werden ließ. Es gibt in der Karibik, so schien die Musik zu sagen, ein hartnäckiges Vertrauen in den Lauf der Dinge: ein lustvoller Widerstand gegen die Schwierigkeiten des Lebens.
So wusste Gesine Müller in ihrer Eröffnungsrede von dem Kubaner José White Lafitte zu erzählen, der als dunkelhäutiger Musiker das Paris des 19. Jahrhunderts begeisterte. Die Geschichte Whites sei ein Beispiel für die Heimatlosigkeit und die ständigen Bewegungen, die das Leben in der Karibik ausmachen. Whites berühmtestes Stück, „La bella cubana“, erklang neben der „Havanaise“ von Camille Saint-Saens.
„Wir haben unsere Insel überall dabei“, beschrieb Amir Valle sein Leben in der Fremde. „Es ist immer ein seltsames Gefühl für einen Inselbewohner, wenn er auf dem Festland ist.“ In seiner Lesung beschrieb Valle den Tod eines Musikers in Havanna. Es ist die wahre Geschichte eines kubanischen Geigers, der nach einem turbulenten Leben in Europa auf seine Insel zurückkehrt und dort stirbt – ein Ausschnitt aus Valles jüngst erschienenem Buch „Havanna. Tor zu den Amerikas“.
Die Forschungsgruppe um Gesine Müller wird in den kommenden Jahren mit einigen Tagungen und einer Reihe von Veröffentlichungen im Potsdamer Universitäts-Leben in Erscheinung treten. Das DFG-Projekt wird dabei freier arbeiten können, als dies sonst im Wissenschaftsalltag möglich ist. Sie werde eine Insel der freien Forschung und Kreativität bilden, sagte dazu Professor Ottmar Ette. Ein bisschen karibischer Geist in Potsdam.
Mark Minnes
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