
© Manfred Thomas
Von Anna Mageras: Integration mit Tschechow und Brecht
„inteGrazia“, Schule der Künste, öffnet ab September auch deutschen Kindern ihre Türen
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Es funkelt, schimmert und glänzt im Büro der „inteGrazia“-Schule der Künste, denn eine ganze Wand des kleinen Raumes ist mit kunterbunten, selbst genähten Kostümen behängt. Doch dies ist nur ein Bruchteil der „inteGrazia“-Theatergarderobe. Insgesamt umfasst sie über 500 Satin-, Samt- und Tüllgewänder, sowie beperlten Kopfschmuck und befederte Flügel. Und sie stellt den materiellen Beweis der unermüdlichen Kreativität der Lehrkräfte hier dar.
Die wahre Arbeit der ehrenamtlichen Leiterin Alice Keiler und ihrer Mitarbeiter liege allerdings in der Bildung und kulturellen Integration ihrer Schüler, die bisher alle aus russischsprachigen Elternhäusern stammten, sagt Keiler. „inteGrazia“ hat ihren Sitz auf dem Gelände der Stadtverwaltung in der Hegelallee. Um die Integration noch konkreter zu verwirklichen, plant die Leiterin ab September auch Unterricht für vier- bis sechsjährige Kinder aus deutschsprachigen Familien anzubieten. Diese sollen, wie die rund 20 zurückkehrenden Schüler, durch fächerübergreifenden Unterricht bei ihrer künstlerischen, persönlichen und sozialen Entfaltung unterstützt werden. Alice Keiler bezieht sich mit diesem Konzept auf eines ihrer Vorbilder, Anton Tschechow: „Er sagte, alles am Menschen soll schön sein, die Form und der Inhalt.“
Kostümdesign gehört mit Theater, Tanz, Gesang, bildender Kunst und Literatur zu den Fachbereichen, die bei inteGrazia auf spielerische Weise die Integration fördern sollen.
Die Kinder, zwischen drei und 23 Jahren alt, „beschäftigen sich intensiv mit Klassikern der Weltliteratur“, erzählt Alice Keiler. „Dazu gehören Werke von Puschkin, Tschechow, Shakespeare und Brecht, die auf Russisch gelesen werden.“ Danach werden schwierige Worte in den Texten erklärt und deren Etymologie erforscht.
Alice Keiler bedauert, dass die meisten ihrer Schüler zu Hause nur Alltagsrussisch mitbekommen und die höhere Sprache fast gar nicht beherrschen. „Die sollen sie bei ,inteGrazia’ kennenlernen“, sagt sie. Doch auch gutes Deutsch wird hier geübt: Die Schüler interpretieren nämlich die gelesenen Werke mit selbst geschriebenen Theaterstücken, die sie auf Deutsch inszenieren. Wenn erstmal deutsche Kinder dazustoßen, sollen alle Gruppen gemeinsam an diesen Projekten arbeiten. Alice Keiler sagt, dass oft bis zu 80 und 90 Prozent ihres Publikums Deutsche seien und vermutet, dass die ehemaligen DDR-Bürger eine Art Sehnsucht nach der russisch-deutschen Kultur hätten.
Der Ruhm der Schule wächst derzeit auch außerhalb Potsdams. Im Juni wurde „inteGrazia“ nach Zürich eingeladen, wo die Kinder ihr aktuelles Stück, „Weil es Wunder gibt!“, aufführten. In dem Theaterstück wandeln Hänsel und Gretel gemeinsam mit dem Publikum durch die russische Märchenwelt. Im Oktober steht eine Reise nach Estland bevor, wo die Schüler bei einem Festival vor 1500 Zuschauern spielen sollen.
Nach Zürich ist „inteGrazia“ mit Unterstützung der kommunalen Baugesellschaft Pro Potsdam gekommen. Generell muss sich die Schule aber mit ihren Gebühren und Geldern von dem russischen Kulturverein Semljaki e.V. über Wasser halten. Die Ehrenamtlerin Keiler träumt von städtischen Zuschüssen, die einige ihrer Ziele ermöglichen könnte, zum Beispiel die Senkung der Kursgebühren. „Ich wünsche mir, dass sich deutsch- und russischsprachige Kinder aus allen sozialen Schichten kreativ engagieren“, sagt sie.
Anna Mageras
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