Homepage: Irgendwo zwischen Krieg und Frieden
Herfried Münkler und Sönke Neitzel diskutierten im Lepsiushaus über globale Konflikte
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Der Krieg ist nicht verschwunden, er hat nur andere Gestalten. Häufig kommt er nun als Terror, als Drohnenangriff, im Cyberspace und anderswie daher. Auch die offenen Gefechte in der Ostukraine, in Syrien, im Mittleren Osten und in Afrika wecken Zweifel, ob mit dem Ende des „Kalten Krieges“ eine Phase größerer globaler Stabilität erreicht wurde. Dies konstatiert der renommierte Berliner Politik-Professor Herfried Münkler in seinem neuesten Werk „Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert“, das er in diesen Tagen im Lepsiushaus Potsdam in der Reihe „Buch im Dialog“ vorgestellt hat.
Sein Gesprächspartner Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam, zeigte sich voll des Lobes für die zeithistorischen Analysen wie auch den aktuellen Problemaufriss seines Kollegen.
Herfried Münkler geht davon aus, dass Europa nach den exzessiven Kriegen des 20. Jahrhunderts dazugelernt hat. Imperiale Teilhabekämpfe seien aus der Mode gekommen. Das hat mit historischen Einsichten, aber auch allgemeinen, westlichen Trends zu tun. „Wir sind heute religiös erkaltete Gesellschaften, in der heroische Opferbereitschaft nur wenig ausgeprägt ist, und damit auch weniger Belligerenz“, so Münkler. Auch die geringe Reproduktionsrate in der westlichen Bevölkerung und ökonomische Erwägungen machen große militärische Abenteuer immer unwahrscheinlicher. Soweit die gute Nachricht des Abends. Die eher schlechte: In anderen Regionen und Gesellschaften dieser Welt spielen sich gegenteilige Entwicklungen ab, korreliert starkes Bevölkerungswachstum mit wachsender religiöser Militanz. Rapide anwachsende Konflikte vor allem im Nahen Osten und in Nordafrika liegen scheinbar noch Tausende Kilometer entfernt, doch allein schon mit den Anschlägen des „Islamischen Staates“ in Paris und Brüssel sind sie indirekt in Europa angekommen. Mehr noch: Da die hybriden Kriege, „Zustände irgendwo zwischen Krieg und Frieden“ sind (Münkler), lösen sie die klassische Kriegsführung ab und lassen auch nach einer erwarteten Besiegung des „Islamischen Staates“ als Territorialakteur noch kein Ende der Auseinandersetzungen per se vermuten.
Militärhistoriker Sönke Neitzel, seit Oktober 2015 an der Uni Potsdam, rekurrierte im Lepsiushaus analytisch auf den Vorabend des Ersten Weltkrieges in Europa, als die Durchsetzung utopischer Machtwünsche auch mit blutigsten Waffengängen noch für realistisch gehalten wurde. Steht der Nahe Osten, mit dem immer heftiger eskalierenden Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, kurz vor einem ähnlichen Desaster? „Ich würde das nicht ausschließen wollen“, so Buchautor Münkler. „Aber Prognosen sind ja auch dazu da, dass man sie hinterfragt und alternative Optionen eruiert.“
Münkler und Neitzel schließen ebenso wenig aus, dass die anhaltenden Kämpfe im Nahen Osten in eine europäische Situation wie 1618, und damit den Beginn des Dreißigjährigen Krieges, münden könnten. „Es gilt zu verhindern, dass wie damals verschiedene Regionalkonflikte in einen großen Krieg zusammenlaufen“, betonte Herfried Münkler mit ernster Miene. Enorm wichtig sei es deshalb etwa, zu verhindern, dass Ägypten zwischen dem neuen Konfliktherd Libyen und dem Kriegsgebiet Syrien zermahlen werde und sich die Kämpfe in der Sahelzone zwischen Mali und Somalia noch in weitere Regionen „hineinfressen“. Grundsätzlich besteht nun – so der Tenor – mehr denn je die Herausforderung einer klugen Diplomatie mit ausgeprägten Regionalkenntnissen, nicht zuletzt auch für den international stärker gewordenen Akteur Deutschland. Olaf Glöckner
Olaf Glöckner
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