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Homepage: Irrtümer und plötzlicher Wandel Postkommunistische Autobiografien im Blick
„Nach dem Fall der Mauer gab es einen autobiografischen Legitimationsrekord,“ stellt Martin Sabrow vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) fest. Der Historiker befasst sich derzeit mit der Biografie Erich Honeckers.
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„Nach dem Fall der Mauer gab es einen autobiografischen Legitimationsrekord,“ stellt Martin Sabrow vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) fest. Der Historiker befasst sich derzeit mit der Biografie Erich Honeckers. Bei der genauen Recherche und der Sichtung des Materialberges, den es zur Person Erich Honeckers gibt, fiel Sabrow die Fülle der postkommunistischen Biografien auf.
Kennzeichnend für die Biografien sei naheliegender Weise die Auseinandersetzung mit dem historischen Bruch 1989 und dessen persönliche Verarbeitung. Honeckers „Kern-Ich“ habe den Bruch völlig unbeschadet überstanden, meint Sabrow. „Ich war Kommunist, ich bin Kommunist und ich werde immer Kommunist sein“, erklärte der ehemalige Staatschef nach dem Untergang des Staates, an dessen Spitze er zuvor gestanden hatte. Auch seine Frau habe keine Schwierigkeiten gehabt, das wieder vereinigte Deutschland ideologisch einzuordnen. „Schau mal Erich, wie bei den Nazis“, kommentierte Margot Honecker 1991 eine Durchsuchung ihres Wohnhauses.
Anders als nach der Zerschlagung der Nazi-Diktatur, dränge es die Protagonisten des untergegangenen sozialistischen Staatswesens durchaus dazu, ihre Sicht auf die Historie und das immerhin 40 Jahre währende Experiment zwischen Buchdeckeln zu verewigen. Das Experiment sei zwar daneben gegangen. Aber es erlaube immerhin eine Deutung, die sich mit dem weitergelebten Leben vereinbaren lassen würde, meint Sabrow. Zwar würde ein Großteil der niedergeschriebenen Erinnerungen recht schnell beim modernen Antiquariat landen, aber „die Bücher erreichen Auflagen, von denen ein Wissenschaftler nur träumen kann.“ Als Leser der Erinnerungsliteratur hat der Institutsleiter nicht zuletzt den ehemaligen Mitarbeiterstamm zahlreicher Autobiografen aus Behörden und Organisationen ausgemacht. „Wenn Markus Wolf seine Erinnerungen schreibt, kann er jedenfalls auf etliche Zehntausend ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit hoffen.“
Vorherrschend sei die „Konversionsbiografie“. Der Protagonist schildere, wie er nach einer zunächst emphatischen Zustimmung zur kommunistischen oder sozialistischen Ideologie zu einer anderen Ansicht gelangt sei und wende sich dann um so heftiger einem anderen politischen System zu. Der Schriftsteller Arthur Köstler beispielsweise war zunächst begeisterter Kommunist. Grund waren die Moskauer Schauprozesse in den 1940er Jahren. Desillusioniert musste Köstler zur Kenntnis nehmen, dass in der Sowjetunion jedenfalls nicht das Volk herrschte.
Auch der Publizist Wolfgang Leonhard wandte sich angesichts des real existierenden sozialistischen Staatsgebildes von der Lehre Marx und Lenins ab, obwohl er bis 1949 an einer SED-Parteihochschule unterrichtet hatte. Mit seinem populären Buch „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ beschrieb er seinen Weg vom überzeugten Kommunisten zum Flüchtling aus der sowjetischen Besatzungszone. Autoren die sich von einer ideologisch geprägten Vergangenheit abwendeten, würden dazu neigen, das Regime, das sie verlassen hätten, mit einer überscharfen Linse zu betrachten, erläuterte Sabrow. Die eigene Rolle falle dabei gelegentlich einer kuriosen Verklärung anheim. Der Schriftsteller und Publizist Ralph Giordano erklärte seine Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei kurzerhand zu einem „bloßen Irrtum“. „Der Irrtum dauerte immerhin elf Jahre, von 1946 bis 1957,“ kommentiert Sabrow trocken.
Was den Autobiografen als die nackte, ungeschönte Wahrheit erscheine, griffen Historiker eher mit spitzen Fingern auf, stellt Sabrow fest. Biografien wie diejenige des entschiedenen Parteifunktionärs Günter Schabowski, der eine „quasireligiöse Reue“ an den Tag lege und schildere, dass er fast gegen seinen Willen an die Spitze der Parteizeitung „Neues Deutschland“ gedrückt worden sei, wären wenig glaubhaft. „Hier wird versucht, dem eigenen Leben im Nachhinein einen Sinn und eine Deutung zu unterlegen, die es im gelebten Moment überhaupt nicht gegeben hat“, so Sabrow. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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